3 février 2016 0 Commentaire

Aschenblumen, Trauerhalme und Wunderkammern: Retrospektive Anselm Kiefer im Centre Pompidou

Aschenblumen, Trauerhalme und Wunderkammern

Anselm Kiefer ist ein Romantiker, ein trauernder Poet, der mit schwarzer Asche auf grauem Blei und weißem Gips schreibt und dazu gelb-braune Strohhalme benutzt. Seine bedrückenden, post-nuklearen und perspektivlosen, kargen und verbrannten Winterlandschaften schreien nach Licht und Sonne. Der Acker ist bestellt, aber die verbrannte Erde will die zart keimenden Halme nicht an die Oberfläche lassen.

Kiefer-Innenperspektive steigend ....
Teil der Installation Steigend, steigend, sinke nieder

Noch fast schwindelig von seiner beeindruckenden dreistöckigen Installation im Eingangsbereich des Centre Pompidou „Steigend, steigend, sinke nieder“ (2011), die aus seinem Atelier in Barjac nach Paris kam, geht es in den 6. Stock und man betritt Kiefers eigenwilligen, ganz persönlichen beeindruckenden und bedrückenden Kosmos mit einem kriegsrhetorischen Donnerschlag. Auf 2000 qm werden Leben und Leiden von Kiefer ausgebreitet und man macht Bekanntschaft mit seiner umfangreichen ausartenden grau-schwarz-braunen Monumentalwelt und mit seiner umfassenden Intellektualität und seinem Hang zur Poesie. Man lässt sich auf seine Auseinandersetzung mit der Geschichte, der alten und der neueren, ein. Sämtliche Schaffensperioden seit 1967 sind repräsentiert.

Kiefer nimmt, wie sonst keiner, die Arbeit der Vergangenheitsbewältigung nach 1945 sehr ernst. Provozierend einmal, dann wieder erforschend. Er baut auf den verbrannten Ruinen und holt sich die dazu notwendigen Bausteine aus der alten und neuen Geschichte, von zeitgenössischen Dichtern wie Bachmann und Celan oder aus unterschiedlichen Mythologien.  Ambivalent, wenn er auch auf Celine zurückgreift, aber das gehört dazu wie der Hitlergruß in Vaters Wehrmachtsuniform, die ihn in einer Serie von Autoportraits (Heroische Sinnbilder -1969-1970), zeigen, einsam in der Landschaft als Hommage an Kaspar David Friedrich. Nur blickt er uns direkt ins Gesicht und ent-romantisiert damit das Gemälde.
 

Kiefers Themen sind immer wieder die deutsche Vergangenheit, der Beginn und das Ende der Geschichte.  Er dokumentiert das mit Gemälden wie Varus (1976 – 200 x 270 cm), es entstand in seiner Anfangszeit im Odenwald. Kiefer beschreibt hier das Thema der Schlacht im Teutoburger Wald. Varus unterliegt Hermann, der mit Schnee bedeckte und sich nach hinten verengende Wald ist blutbespritzt und leer.

Ein weiteres Thema, dessen er sich seit 1973 immer wieder annimmt, ist die germanische Mythologie. Brünhildes Tod (1976), eine Leihgabe aus dem Lenbachhaus München, in verschiedenen Grautönen und weiß-roten Flammen. Sämtliche Wagnerhelden haben ihren Einzug in seine Malerei gefunden. Notung, das Schwert, das den braunen Raum dominiert und Parsifal-Referenzen. Immer wieder beschreibt er seine Bilder.

Mit Wege der Weltweisheit (1976-1977) hat er 1980 bei der Biennale in Venedig die Büchse der Pandora geöffnet und die Kriegsjahre wieder auf die Leinwand gebracht, um ja ein zu schnelles Vergessen zu verhindern. In seiner Waldlandschaft sitzen Intellektuelle neben Nazihelden, die mit schlangen- oder stammbaumähnlichen Armen miteinander verbunden sind.

Mit Hauptwerken wie Margarethe (1981 – 280 x 400 cm) oder  Sulamith (1983 – 290 x 370 cm) gesteht er seine Verehrung für Paul Celans Poesie. 2006 entstand, ebenfalls nach Celans Gedicht „Ich bin allein“ das melancholische Materialbild Aschenblume..(330 x 760 x 40 cm), eine Erinnerung an die Shoah. Eine weitere Inspirationsquelle ist Ingeborg Bachmann, sie nach entgegen jeder Polemik, einen Weg für das Fortleben der Poesie nach 1945 gefunden.

 In den 80er Jahren reist Kiefer nach Israel und beginnt sich für die Kabbala zu interessieren. Es entstehen später Werke wie „Liliths Töchter “ (1998) oder Merkaba – die Sieben Himmelspaläste (2007). Aber Kiefer ist noch nicht fertig und verschreibt sich in den 90er Jahren selber eine Art Reinwaschtheorie, verlässt den Odenwald, um drei Jahre durch Nepal, Thailand und China, Australien und Mexiko zu reisen – ohne zu Malen, nur Schreiben und Fotografieren waren erlaubt. Nach dieser Zäsur ging er auf Einladung von Jack Lang direkt nach Südfrankreich, wo er immer noch lebt. 1996 entstand das Gemälde „Die Orden der Nacht“ (356 x 463 cm). Es kam aus Seattle nach Paris und zeigt verbrannte, fast greifbare Sonnenblumen, die trauernd über einer auf dem Boden liegenden Person schweben. Dem Philosophen Rubert Fludd aus dem 17. Jahrhundert hat er dieses Gemälde gewidmet. Mensch, Blume, Himmel und Sonne überschüttet von Zweifel, Passivität, Nihilismus und Trauer.

Und so wandert man weiter von einem umwerfenden Raum in den nächsten und durchquert einen sehr gelungen Saal mit seinen Vitrinen. Sie wirken auf den ersten Blick wie Wunderkammern und beinhalten Materialien, die zur Realisierung der großen Arbeiten entweder geistig oder materiell nötig waren. Unglaublich, er hat sie für die Ausstellung geschaffen.

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Vitrine – Der verlorene Buchstabe

Plötzlich wird man mit dem großen Finale konfrontiert. Eine Rauminstallation „Für Mme de Stael: Über Deutschland“ (2006). Ein Stammbaum in Form eines großen Pilzes (+ Babypilz) und Vater ist der Revolutionsbefürworter Johann Gottlieb Fichte. Ironisch, musste doch Mme de Stael, Adelige, Frau eines Diplomaten, Schriftstellerin und Deutschlandkennerin von Frankreich ins Ausland fliehen. Ihr Roman „De l’Allemagne“ wurde 1810 sofort nach dem Druck wieder eingestampft, weil es ein Deutschlandbild zeigte, das nicht ins Bild passte: zu idealisiert, zu musisch, zu philosophisch, zu gefühlsbetont. Es  hat trotzdem wie kein anderes Buch das Bild der Deutschen in Frankreich geprägt. Gegenüber, wie eine Art Friedhof, liegen die Personen vom Stammbaum begraben und die Pilze gedeihen nur so. Das große Bett aus Blei hat er Ulrike Meinhoff vermacht!

500 Exponate, darunter 60 seiner wichtigsten Gemälde, präsentiert diese Ausstellung, wobei die großen Gemälde im vorletzten Raum mit dick aufgetragenen bunten Farben etwas verwirren. Der Alchimist Kiefer verlässt plötzlich die Farbe Schwarz und seine grausamen Märchenbücher und wird bunt-kitschig. Irgendwie will man ihn so nicht, so voller blumiger Ironie! Um den Exkurs zur Polychromie aber etwas abzuschwächen, heißen sie dann „Böse Blumen“ (2001-2015). Ein „Künstler der Unterwelt“, wie er sich selber nennt, darf nicht zu viel Farbe auftragen. 

Die große Retrospektive von Anselm Kiefer, die seit Dezember dort zu sehen ist, zeigt deutlich, dass es im Moment keinen Künstler gibt, der auch nur in die Nähe von Kiefer kommt. Kiefer ist ein künstlerischer Riese!

Anselm Kiefer wurde im März 1945 im Luftschutzkeller eines Donaueschinger Krankenhauses geboren. Diese Zerstörungen durch die Bomben, sind in seinen Bildern immer wieder zu finden. Sein Vater war Kunstlehrer und erkannte sehr schnell die Notwendigkeit seines Sohnes sich künstlerisch auszudrücken. Schon seine Abschlussarbeit 1969 befasste sich mit dem Nationalsozialismus. Seine Hitlergruß-Performance fiel durch und wurde von den Akademikern abgelehnt. Kiefer ging zu Josef Beuys nach Düsseldorf, wenigstens geistig. Spätestens seit seinem Biennale-Auftritt 1980 gehört er zur Künstlerweltelite und – wie die Ausstellung zeigt – hat jedes Museum das etwas auf sich hält – wenigstens eines seiner Werke.

Ausgezeichnete Ausstellung, fast eine Jahrhundertausstellung, die die Franzosen ihm hier bieten. Bei uns hat man ihn immer noch nicht richtig verstanden, dazu muss man jetzt – noch bis Mitte April -  nach Paris fahren!

Wenn man dann nach der Ausstellung auf der Autobahn Richtung Süden fährt – wohlgemerkt es ist Januar – sieht man sie überall, die Kieferlandschaften.

Christa Blenk

Fotos: Christa Blenk

 

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