Edvard Munch

Noch das grelle, blau-strahlende Madrider Winterlicht in den Augen, betreten wir die pessimistische, schwarz seherische und düstere Munch-Welt.
Archetypen heißt die Ausstellung im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, die am 17. Januar 2016 zu Ende ging. 80 Exponate versuchten das bittere Leben des norwegischen Malers Edvard Munch (1863-1944) zu erklären. Munchs Bilder sind großartig, verzweifelt, schwermütig und einzigartig.
1863: Manet malt « Déjeuner sur l’herbe », die Fotografie entwickelte sich immer mehr, der Impressionismus stand vor der Tür, in London wurde die erste U-Bahn Station Paddington eingeweiht und Jules Vernes veröffentlichte seinen Rom « Cinq semaines en Ballon ». Die Welt änderte sich gerade wieder einmal und der Norweger Edvard Munch wird in den Symbolismus hinein geboren und sollte zum Bahnbrecher der Expressionisten und der Moderne werden.

« Ich erkenne alle Menschen hinter ihrer Maske », schrieb Munch einmal: « Ich sehe lächelnde, ruhige Gesichter, bleiche Gesichter, die rastlos davon eilen, auf einem gewundenen Weg, an dessen Ende das Grab lauert“. Conditio humana – für ihn verbunden mit Siechtum und Tod und die Kunst sollte ihn davor bewahren.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts malte man vor allem Innen, im Atelier und die Malerei diente dem Zweck, etwas fest zu halten, zu dokumentieren, einen Zustand, eine Person, ein gesellschaftliches Ereignis oder Geschichtliches aber auch Landschaften. Diese Aufgabe wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts von der Fotografie übernommen und die Künstler gingen auf die Straße bzw. in die Landschaft und brachten das, was sie wirklich sahen oder was das Licht und die Natur vorspiegelten auf die Leinwand bzw. schauten hinter die Wirklichkeit.
Pissarro, Manet, Degas, Cezanne, Monet und Renoir waren die Vorreiter um Impressionismus, Van Gogh, Gauguin und natürlich Munch führten die Transition in die Moderne weiter. Während Van Goghs Bilder explodieren vor südlichem Licht, dicht aufgetragener Farbe und hungernder Aufgewühltheit, strotzen die von Munch vor Schrecken, Panik und ohnmächtiger Hoffnungslosigkeit. Der dritte Große, Cezanne, beschränkte sich immer mehr auf Farbe und Form. Getroffen haben Van Gogh und Munch sich nie, sind sich aber ähnlich und ihre Malerei trennt eigentlich nur die Interpretation des Lichtes.

Melancholie, Krankheit, Tod, Panik, Frauen, Liebe, Nacht und Akte sind die Themen, mit denen sich die Ausstellung auseinander setzt und Munchs Schaffensweg beschreibt. Eigentlich erstellte er permanent Portraits der eigenen Familie. Der frühe Tod der Mutter, dann der der älteren Schwester, später die Depression der kleinen Schwester, der Bruder, der als einziger von fünf Geschwistern heiratete und kurz darauf ebenfalls starb und der Vater, ein religiöser Militärarzt, der all das nicht verhindern konnte. Immer wieder war Munch gezwungen, sich mit diesen dramatischen Szenen seiner näheren Umgebung zu konfrontieren. Der thematische Aufbau der Ausstellung führt dem Besucher vor Augen, dass es bei Munch so gut wie keinen Unterschied macht ob er einen Akt oder eine Trauerszene malt. Geweint und getrauert wird immer und das auf ausgesprochen geniale Weise. Melancholie - auf dem gleichnamigen Bild von 1892 sitzt ein junger Mann mit geschlossenen Augen in der rechten unteren Ecke des Gemäldes, im Hintergrund eine scheinbar friedliche Landschaft mit einem Bach, der auf einen Ort zufließt. Mindestens fünfmal – Munch hat sehr oft dasselbe Motiv immer und immer wieder gemalt – hat der dieses Bild gemalt und den Protagonisten unterschiedliche Stellungen einnehmen lassen. Auf unserem hier scheint Winter zu sein, das tut aber nichts zur Sache. Dramatisch und erschütternd das Bild Mutter und Tochter aus 1897. Die Tochter in weiß gekleidet mit schwarzen Haaren steht vor der sitzenden versunkenen Mutter im Profil mit schwarzen Kleid. Ihr kalkweißes Gesicht zieht eine Linie zum weißen Kleid des Mädchens. Im Hintergrund die norwegische milchige Sonne. Beide sehen uns an. Vielleicht seine Mutter und Schwester, oder eine andere Frau aus seiner von Krankheit und Tod gezeichneten Familie, die von der Tuberkulose hingerafft wurde. Das Gemälde aus der Tate-Galerie „Das kranke Mädchen“ (1907) hat er in sechs Versionen zwischen 1886 und 1927 gemalt und auf vielen Blättern festgehalten, die fast alle mitgekommen sind. Die erste Version entstand schon während seines Paris-Aufenthaltes in den 1880er Jahren. Kurze Zeit nach seiner Ankunft in Paris starb auch noch sein Vater. Radikal verarbeitet er hier den Tod von Sophie und bricht komplett mit den Konventionen der realistischen Malerei. Die Welt konnte mit dieser neuen Art zu malen nichts anfangen und lehnte seine Bilder ab. Wohl traumatisiert von seinem komplizierten Verhältnis zu Tulla, seiner Geliebten, war die Frau für ihn ein Vampir, gierig, wankelmütig und beunruhigend. Sie heißen Madonna oder Carmen und sind im symbolistischen Stil und als leichte Mädchen gemalt, wie die „Frau „ (1925; 155×230 cm). Hier mal er einmal ein Wunschbild der keuschen und zarten, hilflosen Frau in keusches Weiß gekleidet, schüchtern-verschämt von der Seite im Gegensatz zur femme fatale, die nackt und verführerisch das riesige Gemälde dominiert und uns mit hinter dem Kopf verschränkten Armen ansieht. Daneben, in Schwarz, die erwachsene Frau und die Vierte schwarz schon verwelkt. Der Themenraum „Melodrama“ versetzt uns kurz zu Matisse. Hier weinen die jeweiligen Frauen auf den Bildern, tun dies aber vor fröhlichen Farben und an Japonismus oder Orient erinnernden Bildhintergründen. Mit verschiedenen Variationen von Der Kuss beschreibt er die Liebe. Hin – und hergerissen zwischen Anspannung und Schmerz, sind die zwei Personen so ineinander verwickelt, dass man nur noch einen Fleck sieht. Bei den Nachtbildern gleichen die Gesichter immer mehr Totenköpfen. Unter Sternen (1900-1905), ein Gemälde aus dem Osloer Museum, gewaltiger Himmel und beleuchtete Häuser im Hintergrund, aber die Person in der ersten Reihe sieht leidend oder sterbend oder schon tot aus.
Begegnungen mit den Fauvisten in Paris und mit der Künstlergruppe Brücke in Dresden oder mit Strindberg in Berlin prägten zeitweise seine kritisierten oder verfemten Bilder. Nach 20 Jahren Abwesenheit aus Norwegen kehrte Munch in seine Heimat zurück und kurzzeitig ist eine gewisse Vitalität auszumachen, es wird heller, obwohl eine richtige Wohlfühlstimmung auch nicht aufkommen will. Die Mädchen auf der Brücke aus Fort Worth Texas oder Adam und Eva strahlen eine mögliche Zukunft aus. Munchs Akte sind mit kräftiger expressionistischer Farbe gemalt, aber auch nur ein Vorwand, um wieder alle weinend in Melancholie versinken zu lassen. Traurige Schönheiten.
Seine erheblichen Nerven- und Alkoholprobleme und seine komplizierte Beziehung zu Tulla die für ihn mit einer Schussverletzung -„den Kampf zwischen Mann und Frau, den man Liebe nennen kann“ – an der Hand endet, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen und er selber entscheidet sich zu einem langen Klinikaufenthalt.
Über 30 Jahre wurde Munch in Madrid nicht gezeigt. Diese Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Munch-Museum in Oslo das auch ca. die Hälfte der Exponate ausgeliehen hat. Sein Hauptwerk, Der Schrei, haben wir immerhin als Holzschnitt gesehen. Insgesamt hat er ungefähr 1700 Werke geschaffen, im Alter allerdings weniger.
Christa Blenk