Romaeuropa Festival – Stimmung von Stockhausen
Was hat erotische Poesie mit Quetzalcoatl, Obertongesang, Wochentagen und Hot Dogs zu tun?
Im Rahmen des Romaeuropa Festival wurde gestern Abend im ehemaligen Schlachthof am Testaccio, Macro, la Pelanda, Karlheinz Stockhausens Fluxus-Werk „Stimmung“ aufgeführt.
6 Sänger sitzen auf Stühlen im Kreis. Drei Männer (Tenor I, Tenor II, Bass) und drei Frauen (Sopran I, Sopran II, Alt). Bis auf eine Lampe gibt es kein Licht im Raum. Sie haben keine „richtige“ Partitur vor sich, sondern ein Formschema und Wörter. Jeder hat ein Mikrophon und einen Sender; der Klangregisseur sitzt im hinteren Bereich des Saales in der Mitte.
Stimmung ist meditativer zeitloser difonischer Gesang, und wird in einem rituell-mythologischen Kreis aufgeführt. Die sechs Sänger sitzen am Tisch und versuchen eine Unterhaltung in Gang zu bekommen, sprechen aber nicht die gleiche Sprache, eine Art Babel-Tisch. Nach einigen Mühen schaffen sie es aber immer wieder, sich doch zu verständigen, bis jemand ein neues Thema aufwirft und die Arbeit wieder von vorne anfängt. Böse Geister oder Zauberer, die Zeit oder poetische Einwürfe, erschweren und unterbrechen immer wieder diese Unterhaltung. Der Bass beginnt mit dem Grundton b- Moll, schrittweise stimmen die anderen Sänger mit ein, bis sie den Akkord, der aus einem Grundton und seinen Obertönen besteht, gefunden haben. Der Ton kann, je nach Stimmlage der Sänger noch oben oder unten variieren, aber nie mehr als einen halben Ton betragen. Jetzt müssen die Sänger gezielt Schwingungen und Variationen suchen, die den Akkord – auch rhythmisch – verändern, um sich dann wieder zusammen zu finden. Der jeweilige Stimmführer für ca 1 Minute gibt den Stab an den nächsten weiter, ob diese Reihenfolge allerdings aleatorisch ist oder vorgegeben, konnte man nicht erkennen. Zwischendurch werden die Namen von Wochentagen in den Raum geworfen, Zauberer oder Götter angerufen und Poesie rezitiert. 51 Mal wiederholt sich das und jeder Sänger hatte sich unterschiedliche Notizen oder Anmerkungen notiert (wie wir am Ende der Veranstaltung sehen konnten).
Auszug Partitur Tenor mit der Bemerkung des Solisten (Ende — Applaus – vielleicht)Stimmung ist eine polyphone Komposition und erinnert durchaus an die gregorianischen Gesänge. In einem Einführungsvortrag hat der Musikologe Francesco Antonioni das Miserere von Allegri laufen lassen. Und sehr weit weg war das Gesamtergebnis von Stimmung dann auch nicht!
Stimmung ist eine absolute Komposition mit dem Grundton b-Moll und seinen Obertönen. Diese Musik ist, wie der gregorianische Gesang, nicht zum Hören sondern zum Singen geschrieben. Was vorher war und nachher sein wird, spielt in diesem Fall keine Rolle.
Stimmung entstand 1968, ein Jahr nachdem Karlheinz Stockhausen (1928-2007) die Künstlerin Mary Bauermeister kennen lernte und heiratete; sie war übrigens auch gestern Abend bei der knapp 1-stündigen Aufführung anwesend. (Wir haben sie vor der Aufführung beim Bohnensuppen-Essen im Freien gesehen.)
Stimmung besteht aus Auszügen aus den Skizzenbüchern aus 1960 von Mary Bauermeister. Dort schreibt sie „Wenn die Musiker malen, die Architekten tanzen, die Maler Musik machen und komponieren passiert oft oder fast immer etwas unerwartetes“. Stockhausen hat ihr Stimmung gewidmet, für die er persönlich diese hier vorgetragenen erotischen Verse geschrieben hat. Obwohl Stockhausen die Übersetzung der Gedichte in die jeweilige Landessprache als nicht durchführbar erklärte, wurden gestern die Gedichte in italienischer Sprache rezitiert.
Allelujah ist das letzte Wort!
Ein sehr anspruchsvolles und anstrengendes intimes Unterfangen, aufgeführt durch das ausgezeichnete Ensemble Voxnova Italia.
Das hingerissene Publikum hat das Ensemble viermal auf die Bühne geholt.
Organisiert wurde dieses Konzert-Happening im Rahmen des Romaeuropa Festivals durch das Goethe Institut Rom unter Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft Rom.
Christa Blenk