Entdeckung: Festival de Lanvellec et du Trégor
Festival de Lanvellec et du Trégor

Konzert in der Kirche von Trégastel am 10. Oktober 2015: Orpheus am englischen Hof
Zum 29. Mal findet zurzeit im Westen von Frankreich, in der Bretagne, dieses außergewöhnliche Festival für Alte Musik statt.
Weltschmerz, Zauber und Austern
Die Idee dazu entstand schon in den 80er Jahren, als die derzeitige Präsidentin des Festivals, Geneviève de Louarne, im französischen Kulturministerium für Orgeln in Frankreich zuständig war. Insgesamt wurden während ihres Mandates an die 300 Orgeln restauriert, darunter auch die einzigartige Orgel in der Stadt Lanvellec.
Der englische Orgelbauer Robert Dallam kam im Jahre 1642 auf der Flucht vor Oliver Cromwell, den englischen Puristen und einem musikalischen Interpretationsverbot in die Bretagne und schaffte dieses Meisterwerk für die Kirche von Lanvellec, heute die einzige Orgel die noch im Originalzustand erhalten ist, was sie einzigartig auf der Welt macht. Nach den umfangreichen Restaurierungsarbeiten gründete Madame de Louarne das Festival, um dieses Prachtstück auch dem Rest der Welt vorzuführen.
Das erste Konzert fand 1986 in Lanvellec statt und der Organist war der große Gustav Leonhardt (1928-2012); er war später noch fünfmal zu Gast beim Festival.
Die ersten Jahre fanden die Konzerte nur an einem Wochenende in Lanvellec statt. Die positive Aufnahme der Besucher und animiert durch ein Angebot von faszinierenden und für Alte Musik perfekten Aufführungsorten an der Côtes d’Armor, wurde das Festival de Lanvellec et du Trégor eines der wichtigsten Insider-Festivals in Europa. Neun Konzerte an drei Wochenenden und an verschiedenen Austragungsorten stehen dieses Jahr auf dem Programm. Wer sich für Alte Musik interessiert, will und darf es nicht missen. Wir haben das Konzert am 10. Oktober in der mittelalterlichen Kirche aus dem 12. Jahrhundert in Trégastel besucht in, ein kleiner Ort an der stürmischen und rosa-granitigen Atlantikküste.

150 Jahre Lautensongs für die britische Krone.
Orphée des cours anglaises (Orpheus am englischen Hof) war das Thema dieses Abends und Musik von John Dowland, Henry Purcell und Georg Friedrich Händel stand auf dem Programm. Gewonnen hierfür hatte man den grandiosen britischen Countertenor Iestyn Davies und seine Landsmännin, die begnadete Lautistin Elizabeth Kenny. Die beiden Solisten sind per Schiff von Plymouth nach St. Malo (Bretagne) gereist, genauso wie ihre keltischen Ur-Ur-Vorfahren vor fast 2000 Jahren.
Mit Henry Purcells (1659-1695) Music for a while und sweeter than roses begann das sonst eher Dowland-lastige Programm. Kenny begleitete Davies abwechselnd auf der noblen Laute und der eleganten Theorbe. Zwischendurch konnten wir uns bei einigen Solostücken, darunter natürlich das Paradestück Semper Dowland semper dolens (der stets traurige Dowland), und Prélude und Chaconne für Theorbe von Robert de Visée (1650-1725) von ihrer zarten Virtuosität überzeugen. Kenny hat genau den richtigen Mittelweg zwischen Sanftheit und Energie gefunden, die John Dowlands (1563-1626) Musik so einmalig und betörend schön erklingen lässt. Dowland kokettierte gerne mit weltfremder dunkler Melancholie, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts durchaus in Mode war, komponierte aber ebenso fröhliche oder scherzhafte (Trink)Lieder, um die Aristokratie am Hofe bei Laune zu halten.
Dowlands Wirkungsfeld war vor allem auf Lied und Tanz ausgerichtet und er hat sein Handwerk brilliant verstanden, Der wohl größte englische Liedkomponist blieb aber trotzdem ein wenig im « dem Tod verbündet, wie Kinder seiner schwarzgesichtigen Nacht » , d.h. im Schatten. Im Laufe der letzten ca 400 Jahre sind seine Lieder immer wieder verschwunden und aufgetaucht.
Dowland hat lange Jahre erfolglos versucht, am englischen Königshaus eine Anstellung zu finden; es klappte schließlich 1612, als König Jakob I ihn holte. Seltsamerweise hat Dowland aber ab diesem Zeitpunkt nichts Bemerkenswertes mehr komponiert. Vielleicht war Weltschmerz für ihn die Triebfeder zur Kreativität. In der Shakespeare-Zeit gehörte er zu den gefragtesten Lautisten und war öfters zu Gast bei kultivierten deutschen Fürsten und lebte zeitweise in Frankreich; seine schönsten Lieder wie In darkness let me dwell oder Flow my tears die Iestyn Davies in Tregastel so farbenreich (Dowlands Come again hat er uns leicht barockisiert gegeben) und doch schlicht und unprätentiös vorgetragen hat, sind 1610 am Hof von König Christian von Dänemark von einem von Heimweh, Weltschmerz und Todessehnsucht oder Liebeskummer getriebenen Dowland entstanden. Davies hat all diese songs auf seiner letzten CD „The Art of Melancholy“ zusammengetragen, ein wahrer Hochgenuss! Dowland wird einfach am überzeugendsten von einem Engländer gesungen!
Von Georg Friedrich Händel (1685-1759), der hier als dritter „englischer“ Hofkomponist vertreten war, interpretierten die Solisten eine Arie aus dem Oratorium Saul und – mit einem Augenzwinkern zu seinen italienischen Lehrjahre – eine köstliche Cantata nach einem Libretto von Kardinal Pamphilij „Hendel, non può mia musa“.
Der Countertenor Iestyn Davies hat ursprünglich Archäologie und Anthropologie studiert und kam erst später zum Gesang. Mittlerweile hat er einen Platz in allen großen Opern und Konzerthäusern wie der MET oder der Scala, aber auch aus Glyndebourne ist er nicht mehr wegzudenken. Davies war 2009 schon einmal zu Gast beim Lanvellec-Festival. Bevor Elisabeth Kenny 2013 ihr eigenes Ensemble gründete, das sich hauptsächlich der Vokalmusik des 17. Jahrhunderts widmet, gehörte sie u.a. William Christies Ensemble Les Arts Florissant an und unterrichtete zwei Jahre an der Hochschule der Künste in Berlin. Sie zählt zu den besten Lautistinnen in Europa.
Mit einer Arie aus Händels Rinaldo als Zugabe hat dieses dream-team den nicht enden wollenden Applaus eines ausgesprochen aufmerksamen Publikums, das zum Teil von weit herreiste, unterbrochen. Ohne Zweifel eines der schönsten Konzerte in der letzten Zeit!
Erlesen und mit viel Expertise wurde das Festival-Programm auch in 2015 wieder zusammen gestellt. Man hat sich sogar an eine Welturaufführung gewagt. Am 24. Oktober wird in Plouaret durch das Ensemble Soave unter Leitung von Jean Marc Aymes das Oratorium „la lingua profetica del traumaturo di Paola, san Francesco“ uraufgeführt, das der Italiener Giacomo Antonio Perti (1661-1756) um 1700 komponiert haben soll. Am 17. Oktober hat man Gelegenheit, die Orgel von Lanvellec zu hören. Die vier Hände von Yasuko und Michel Bovard gehen – zu Ehren vom Erbauer Robert Dallam – auf eine Reise durch die europäischen Höfe von England, Spanien, Frankreich und Deutschland mit Werken von Erasmus Widmann, Louis Couperin und Michelangelo Rossi. Am 18. Oktober tritt in der Kathedrale von Tréguer das Ensemble Le Banquet Céleste und Damien Guillon mit Zelenka-Kompositionen für den Dresdner Hof auf und am 23. Oktober werden in Guincamp Johann Jakob Frobergers mysteriöse Reisen geboten. Auch das Abschlusskonzert am 25. Oktober in Lanvellec L’Incoronazione del Doge durch das Ensemble der Jean Tubéry dürfte nochmals ein highlight werden.
Come again! um mit John Dowland zu enden. I sit, I sigh, I weep, I faint, I die.
Man braucht wirklich keinen zweiten Grund, um im nächsten goldenen Oktober wieder einen Abstecher in diesen schönsten und mysteriösesten Teil von Frankreich, in das Land der Legenden und der Fantasien, zu machen. Hier tummeln sich zwischen Zauberwäldern und kliffigen Küsten immer noch Merlin und Viviane oder Tristan und Isolde; nicht zu vergessen König Arthurs Tafelrunde inklusive Wagners Parsifal und die Graal-Geschichten! Und dass der realistische Fantast Jules Verne aus der Bretagne kommt, ist verständlich.
Hier, im Finisterre, am Ende der Welt, ist alles ein wenig intensiver, sei es das Wetter, das ständig wechselnde Licht, der Austernkult, die gesalzene Butter oder eben ein Musikfestival. Die Druiden und guten Feen, die von den Monts d’Arrée schnell mal zu den Veranstaltungsorten ins nördliche Finisterre fliegen und mithelfen die Töne und Klänge der Interpreten auch noch in den letzen Winkel dieser alten Kirchen oder Klöster zu transportieren, gehören genauso dazu wie die Gallette oder der Cidre.

Das Festival geht noch bis zum 25. Oktober 2015. Bemerkenswert war, dass über die Hälfte der Plätze von Melomanen belegt waren, die sich auf alle 9 Konzerte abonniert hatten.
Christa Blenk
Artikel auch (gekürzt) auf KULTURA EXTRA