17 mai 2015 0 Commentaire

Genius Noci

Genius Noci im Orto Botanico – Trastevere

 

Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt (Khalil Gibran)

 

Nussbaum mit Plastikinseln von Romoli Venturi und Betrachterstuhl von Stucky

 der große Nussbaum im Orto Botanico – Hauptprotagonist dieser Ausstellung und
Bestandteil des Beitrags von Silvia Stucky und PRVs Inselns –  Foto: Christa Blenk
 

2008 hat ein gewaltiges Unwetter in Rom im Orto Botanico in Trastevere (Botanischen Garten) einen  sehr alten, großen Nussbaum zum Stürzen gebracht. Ein Teil der Wurzeln blieb allerdings unter der Erde,  der Baum wuchs weiter und aus ihm sprossen weitere Bäume.

Die Kuratorin Anna D’Elia hat vor einem Jahr dieses Ausstellungskonzept konzipiert,  den gefallenen Baum zum Hauptprotagonisten und Mittelpunkt gemacht und sechs römische Künstlerinnen auf unterschiedliche Weise mit ihm eine Verbindung treten lassen.  Und das passierte gestern, am 16. Mai 2015.

Hermann Hesses Fabel  über den jungen Piktor, der ins Paradies kommt und durch einen Stein seinen Wunsch, ein Baum zu werden, erfüllt bekommt, der wächst, gedeiht und doch nicht vollständig glücklich ist, bis  das Erscheinen eines Mädchens, das durch den magischen  Zauber-Karbunkel ebenfalls zum  Baum beide im Glück vereint, hat dafür Pate gestanden.

Stella Gallas Installation Pura consepavolezza (reines Bewusstsein) besteht aus  53 unterschiedlich großen Vogelnestern aus weißer Keramik, die sie an den Baumspitzen des enormen Nussbaums installierte. In einem Nest sitzt eine Frau und meditiert, sie selber! Das Nest ist ein Symbol der Geborgenheit und der Besucher wird eingeladen, sein eigenes sicheres Zentrum oder Nest zu finden.

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Stella Gallas – Foto: Christa Blenk

Gleich daneben die Installation Totem 2015  von Claudia Chianese. Dort wo der Baum sich spaltet, oder wo Äste abgebrochen sind, entstanden Löcher, diese hat Claudia Chianese in Totems verwandelt und sie mit Querschnitten vom Baum verbunden. Die physische und metaphysische Beschaffenheit des großen Baumes bildet hier einen Kreis. Materiell und immateriell, Geist und Materie, Sonne und Schatten, schwarz und weiß, voll und leer stellt sie gegenüber. Von ihr angeordnete runde Strohflecken landen zur Meditation über diesen Mikro- und Makrokosmos ein.

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Claudia Chianese bei der Meditation ihrer Installation Foto: Christa Blenk

Auf der freien grünen Fläche vor dem schlafenden riesigen Baum hat Paola Romoli Venturi ihre Plastikinseln aufgestellt. Sie erinnert daran, dass 2008, das Jahr in dem der Baum fiel, vor der kalifornischen Küste ein Wal mit 250 kg Plastik im Magen, tot aufgefunden wurde. Ihre umweltpolitische Installation prangert wieder einmal den  PTV_Paficic Trash Vortex  an, diesen 8. Kontinent aus Plastik im Pazifik. 2012 hat Romoli Venturi angefangen, Plastik au dem eigenen Haushalt zu sammeln um daraus ihre Isole_Paola Trash Vortex zu fabrizieren.  Fünf von ihnen  standen schon als wir ankommen, die sechste und größte Insel hat sie vor dem Publikum gefüllt und mit dem italienischen Kinderreim „Molti, Molta, Molte“ (Viel) die zukünftigen Plasktikinselverursacher in ihr Happening mit einbezogen und vielleicht positiv beeinflusst. Aufmerksam waren die Kinder jedenfalls.

 
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Paola Romoli Venturi beim Füller einer ihrer Inselns

Silvia Stuckys konzeptionelle non-Installation heißt  opera senza io  (Kunstwerk ohne mich) und steht gleich neben den Inseln von Paola Romoli Venturi, also vor dem Baum. Stucky  hat vor einem Jahr angefangen, den Baum regelmäßig zu fotografieren. Sie hat vier weiße Plastikstühle aufgestellt und an den Lehnen einen kurzen Text angebracht,  in dem sie das Leben und Nicht-Sterben des Baumes erklärt. Nach der Lektüre lädt sie den Besucher ein, sich auf den Stuhl mit Blick auf den Baum zu setzen und das was man hört, sieht und riecht in sich aufzunehmen. Das Kunstwerk ist in diesem Fall der Ort zwischen Himmel und Erde oder das Betrachten der Besucher. Mit ihren wunderbaren Fotos durchwandert man alle Jahreszeiten und Momente des Baumes. Sie hat sie zusammen mit den Geschichten, die ihr ein alter Gärtner im Orto erzählt hat, in einem E-Buch veröffentlicht., in einem Buch veröffentlicht.

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Silvia Stucky « Opera senza io » – Foto: Silvia Stucky

In Jasmine Pignatellis Rebirth 2012 – Semirefrattario 1250°  wird die verbindende Lymphe zwischen den Zweigen zum Protagonisten.  Sie berichtet von der Kraft der Natur, vom  Willen zu Überleben, von der Selbstverständlichkeit der Wiedereroberung des Platzes. Für Pignatelli sind es die stummen Worte des Baumes, die an die alte Sprache der Mutter Erde erinnern. Zarte, farbige in den Himmel wachsende Stäbe, sollen die unsichtbaren Verbindungen zwischen der Lymphe und der Ursprache dokumentieren.

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Installation von Jasmine Pignatelli – Foto: Christa Blenk

Die Choreografin Alessandra Cristiani trat mit dem Baum mit einem primordial-rituellen Tanz in Verbindung. Mit ihrer Performance Esserenatura (Natur sein) feiert sie die Verwandlung ihres Körpers in eine Pflanze ähnlich Daphne, die aus Angst vor Apolls Verfolgung zum Lorbeerbaum wird. Sie zelebriert eine Vereinigung zwischen Natur und Mensch. Cristiani legt ihre Seele offen und ist mir hier schon öfter aufgefallen. Ihre individuellen Choreografien sind  beeindruckend, intensiv, beklemmend und außerordentlich und immer auf ein bestimmtes Projekt zugeschnitten. Vor ein paar Monaten hat sie uns mit einer Performance zu  elektronischer Musik von Michelangelo Lupone (Feed Drums)  tief beeindruckt.

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Alessandra Cristiani während ihrer Performance – Foto: Silvia Stucky

Zwischendurch hat es immer wieder ein wenig zu regnen angefangen, nicht inszeniert, was aber den Baum durch die schwüle, schwere Luft sicher wieder ein wenig wachsen ließ oder ihm wenigstens ein neues Blatt bescherte.

Bemerkenswerte Schau in einem beeindruckenden Umfeld.

 

Christa Blenk

 

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