Der Göttliche – Hommage an Michelangelo – in Bonn
„!Dankt also dem Himmel dafür und bemüht euch nach Kräften, Michelangelo in allen Dingen nachzuahmen“ das hat Giorgio Vasari um 1550 geschrieben.
Der Göttliche – Hommage an Michelangelo ist der anspruchsvolle und vielversprechende Titel einer Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn.
Fünf Jahrhunderte Leben und Kunst unter dem Einfluss von Michelangelo (1475-1564). Seine bedeutenden Nachfolger, unter ihnen Caravaggio, Rubens, Rodin, Moore oder Cezanne, sind zum Teil mit wegweisenden und beachtlichen Werken in Bonn vertreten und lassen den göttlichen Meister hochleben. Genug ist es nie und die Tatsache, dass man während und nach der Ausstellung vor allem von ihm spricht, obwohl nicht ein Originalwerk des Göttlichen dort zu sehen ist, sagt ja schon alles!
Die Schau ist thematisch unterteilt, zementiert und verdeutlicht erneut, dass die Kunstwelt sich ohne Michelangelo anders entwickelt hätte, banaler!
Durch den großen Biografen und Künstler Giorgio Vasari (1511-1574) wissen wir, dass die zerschlagene Nase und Filzhut so etwas wie sein Markenzeichen waren. Vasari ist es zu verdanken, dass wir so viel über ihn und seine Vorgänger wissen. Michelangelo war der einzige Maler, über den Vasari geschrieben hat und ihn auch kannte. Einmal sagte er zu ihm „Giorgio, wenn mein Geist etwas taugt, so ist es deshalb, weil ich in der feinen Luft eurer Arentiner Gegend geboren bin, wie ich auch mit der Milch meiner Amme Meissel und Hammer eingesogen habe, womit ich meine Figuren mache“. Der Vater von Michelangelo gab ihn als Kleinkind zu der Frau eines Steinmetzen, die ihn als Amme nährte. Schon als Lehrling bei Ghirlandaio übertrumpfte er in Allem seinen Lehrer. Im Garten von Lorenzo de Medici in Florenz durfte er üben und arbeiten.
Mythos Michelangelo und die Aktstatue
Dabei war sein Leben nicht immer nur vom Erfolg gekrönt und mit der zerschlagenen Nase ist er sicher nicht geboren worden. Intrigen, Probleme und Geldsorgen, hin- und hergerissen zwischen Rom und Florenz war auch sein Alltag. Michelangelo lebte in einer Zeit, der Renaissance, in der die Antike wieder sehr große Bedeutung bekam und männliche Aktstatuen, religiöse oder pagane, zum täglichen Handwerk gehörten und alle Künstler danach trachteten, den anderen zu übertreffen. Michelangelo hingegen wollte weiter, er wollte den Akt neu erfinden und wenn er jemanden übertreffen wollte, dann höchstens die Künstler der Antike. Mit dem David (ca. 1502) hat er die erste kolossale Aktstatue seit der Antike geschaffen. Sie wurde schon damals in Florenz auf der Piazza della Signoria aufgestellt und rief zum künstlerischen Wettstreit. In der Ausstellung begleitet eine Skulptur von Rodin Das eherne Zeitalter (1876) seinen David sowie ein plumper und kriegsbemalter Adonis von Lüpertz, ein klares Selbstbildnis von ihm und damit man das auch merkt, hängt dahinter ein Foto, schön geschniegelt in Anzug und Sonntagskleidung. Prominent das Foto von Candida Höfer des David in der Accademia und im Raum dahinter sind die Fotos von Thomas Struth zu sehen, der die Betrachter dort im dem Jahre 2004 in den Mittelpunkt stellt und sich weniger um das zu Betrachtende kümmert. Ein schöner Torso von Fritz Wotruba ist auch unter den Exponaten.
Die Nacktheit und der Kosmos der Sixtinischen Kapelle
Michelangelo war fasziniert vom menschlichen Körper und ging in seinem Streben nach Perfektion und Studium der Muskelverläufe soweit, Leichen zu sezieren. Mapplethorne scheint das auch gemacht zu haben. Seine so ästhetisch-schöne Thomas-Serie (1987) zeigt einen Mann, der in vier verschiedenen Posten in vier verschiedenen Rohren eingeschlossen ist und trotz gewaltiger Muskelkraft es nicht schafft, sich zu befreien, eventuell bringt er die Rolle in Bewegung, aber er entkommt ihr nicht! Genau so wenig wie Michelangelos Sklaven es nicht aus dem Marmor heraus schafften. Eine Ives Klein-Blau überpuderte Mini-Ausgabe eines Sterbenden Sklaven aus 1962 sticht ebenfalls gleich ins Auge.
Seine gemalten Aktszenen hingegen erzählen Geschichten. Die bekannteste natürlich ist das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle. Ein „Must“ bei einem Rom-Besuch. 1508 im Auftrag von Papst Julius II hat er in vier Jahren diese 520 qm große Fläche bemalt. Direkt nach der Eröffnung hergestellte Druckgrafiken sorgten für eine rasche Verbreitung in ganz Europa und wenn man an Adam denkt, dann ist es der von Michelangelo. Caravaggios wunderbar sensuellen Johannes der Täufer (1602) aus den Kapitolinischen Museen hat man dafür nach Bonn geholt. Da hört es sich wie purer Neid an, wenn Papst Hadrian die Sixtinische Kapelle mit einem türkischen Dampfbad vergleicht.
Das Moses-Thema nimmt ebenfalls einen wichtigen Platz ein. Eine meiner Lieblingsskulpturen ist der Moses (der mit den kleinen Hörnern) in der Kirche St. Pietro in Vincoli in Rom. Ursprünglich für das Grabmal eben jenes Papstes geschaffen, thront er weiß und glänzend im rechten hinteren Eck dieser Kirche und zieht den Betrachter völlig in seinen Bann.
Ein wichtiges Element der Ausstellung sind die Skulpturen der Medici Kapelle. Rodin-Zeichnungen, und ein bildschöner Henry Moore begleiten dieses Thema. Von Rodin sagt man ja, er hätte seine Modelle zu ganz unmöglichen Positionen gezwungen, ja sie hätten sogar geheult vor Anstrenung. Selbst das hat er von Michelangelo abgeschaut. Zu sehen sind Rodins allegorischen Figuren Tag und Nacht als Zeichnung in Anlehnung an die vier Marmorskulpturen für die Medici Kapelle in Florenz.
Kämpfer, Sieger und religiöse virtuose Meisterwerke
Der Bildhauer Giambologna darf ihn hier vertreten mit Florenz triumphiert über Pisa (1565) und ein wenig weiter ein Werk vom Schweizer Symbolisten Johann Heinrich Füssli Dalila besucht Samson im Gefängnis von Gaza (1800). Die Pietà von Annibale Caracci sowie die Strickmadonna aus 1976 dokumentieren eine religiöse Seite von Michelangelo und hier hätte ich jetzt ein Augenzwinkern auf Pina Bauschs Cafè Müller erwartet. Die Szene, in der ein Tänzer einem anderen in anschwellender Geschwindigkeit die weiße Schlafwandlerin auf die Arme drapiert, die dieser dann ebenfalls immer schneller werdend wieder fallen lässt, ist direkt bei der Pietà ausgeliehen! Oder? „Si non è vero è ben trovato“ – wie man in Italien sagt.
Die Ausstellung dokumentiert mit Arbeiten von Künstlern aus fünf Jahrhunderten den ungeheuren Einfluss von Michelangelo auf die Kunst in Europa von der Renaissance bis heute. Aber das ist natürlich längst nicht genug und nur ein Versuch, ein gelungener und allemal lehrreicher allerdings. Wahrscheinlich waren auch nicht alle (notwendigen) gewünschten Bilder oder Objekte zu bekommen. Im Endeffekt können sie sich die Anwesenden von Caravaggio bis Lüpertz glücklich schätzen, mit dem „Göttlichen“ in einem Raum zu stehen oder zu hängen. Allein das macht sie ja schon groß und wahrscheinlich auch gut.
Der Besuch der Ausstellung bestätigt, was wir eh schon wussten: Michelangelo war der Modernste von Allen! Ein generöser Vorreiter und Verkünder wie man sich von Zwängen und ranzigen Vorgaben befreit.
Kuratiert haben die Ausstellung die Professoren Satzinger und Schütze, der Katalog kostet 29 Euro. Zu sehen ist sie noch bis 25. Mai. Ein umfangreiches Begleitprogramm vertieft das nun wieder erneut geweckte Interesse an Michelangelo und seine Jünger.
Christa Blenk