Le chant du Rossignol und Carmina Burana in der Oper Rom

Le Chant du Rossignol und Carmina Burana an der Oper Rom
Die Oper Rom, die jedes Jahr wenigstens ein selten gespieltes Werk aufgreift, hat nun zwischen einem Rigoletto (im Januar 2015) und der Tosca (im März 2015) Strawinskys kurzes Nachtigallen-Ballet inszeniert und dieses mit Orffs Carmina Burana kombiniert.
Sehr erfolgversprechend: Carmina Burana ist ein Dauerbrenner und seit der Uraufführung 1937 in Frankfurt/Main von wiederholtem Erfolg gekrönt.
Igor Strawinsky 1882-1971) hat sich 1908 für das Libretto seiner ersten Oper beim Andersen-Märchen Nattergallen (1843) bedient, das er als Kind vielleicht schon kannte. Manchmal kündigt sich hier noch blitzhaft der Einfluss eines Spätwerkes seines Lehrers Rimski Korsakov „Der Goldenen Hahn“, an. Auf Bitten von Diaghilev, ließ er diese Komposition nach dem ersten Akt liegen und machte sich an die Musik für das Ballett Der Feuervogel die Diaghilev für Paris wollte. Es entstanden außerdem Petrouchka und das Skandalerfolgsstück Le Sacre du Printemps und Strawinsky dachte nicht mehr an seinen „altmodischen“ Rossignol. 1913, auf Bitten des Moskauer Freien Theaters (wohl aus finanziellen Gründen) willigste Strawinsky ein, das Stück zu vollenden. Mit Petrouchka und dem Sacre im Gepäck, konnte er natürlich den Stil von 1908 nicht wieder aufnehmen und so stehen sich die konventionellen Naturszenen, beeinflusst von Debussy und dem spätromantischen Impressionismus und der Post-Sacre-Strawinsky krass gegenüber. Es beginnt dementsprechend wie ein spätromantisches Märchen und endet als unpsychologisches und nicht idealisierendes Experiment und wie schon beim Frühlingsopfer zerrüttelte und überforderte er die Zuhörer mit einem permanenten Rhythmuswechsel, zwischendurch versetzt mit orientalischen Gong-Elementen.
Strawinsky sagte einmal über seine Musik: Naturgemäss kann Musik nichts erklären: weder Emozionen, noch Ansichten, weder Gefühle, noch Naturphänomene. Sie erklärt nur sich selber.
Wir hatten gestern Abend das Glück eine Aufführung zu sehen, die auf einem ursprünglichen Projekt von Serge Diaghilev und Léonide Massine basiert. Sie haben es 1917 für das Ballet Russe in Zusammenarbeit mit dem italienischen Futuristen Fortunato Depero entwickelt.
Und das kam so: Diaghilev besuchte 1916 Rom und sah eine Goldoni-Scarlatti-Tommasini Aufführung, inszeniert von Giacomo Balla, die ihn dermaßen beeindruckte, dass er sofort Feuer und Flamme für diese neue Kunstrichtung war und eine Bearbeitung des Rossignol mit den Futuristen, vor allem mit dem Balla-Schüler Depero, aufnahm. Leider kam diese Inszenierung aber nie zur Aufführung.
Rom hat nun das Bühnenbild und die Kostüme nachgebildet und den Sohn von Léonide Massine, den Amerikaner Lorca Massine verpflichtet, die Choreografie zu übernehmen. Es war umwerfend, diese romantische Nachtigallenstory kombiniert mit den mechanischen Bewegungen und futuristischen Farben (die Entscheidung des Kaiser dem mechanischen Vogel den Vorrang zu geben, dürfte ganz im Sinne der „es-leben-die Maschinen-Philosophie der Futuristen gewesen sein). Ein Spaziergang durch die Futuristenabteilung im hiesigen Museum für Moderne Kunst, bei dem man ab und zu eine Figur aus dem Triadischen Ballet traf.
Die Geschichte ist ganz einfach: Der Kaiser von China hört den wunderbaren Gesang einer Nachtigall, bekommt vom japanischen Kaiser aber einen mechanischen Zaubervogel geschenkt, dem er den Vorzug gibt. Die echte Nachtigall schmollt und zieht sich traurig zurück. Der Tod erscheint und will den Kaiser holen, der mechanische Vogel gibt den Geist auf was den Kaiser noch kränker werden lässt. Aber auf die Natur kann man sich halt verlassen und irgendwann tänzelt die lebendige Nachtigall wieder aufs Parkett und bezirzt zuerst den Tod mit ihrem Gesang bis dieser verzückt abzieht, um in der Folge den Kaiser ins Leben zurückzuholen.
Die Balletversion dauert nur knappe 30 wundervolle Minuten und ist wie ein Wettstreit zwischen Technik und Leben, zwischen Oboe und Querflöte. Allerdings hat das Orchester dies meiner Meinung nach nicht gut genug herausgeholt. Die Tänzer waren großartig.
Nach der Pause kam Carmina Burana
Gut 20 Jahre nach der dritten Fassung der Nachtigall, also 1936, entstand Carmina Burana. Carl Orff (1895-1982) entdeckte 1934 durch einen glücklichen Zufall (deshalb heißt wohl die Hauptperson und Zeremonienmeisterin auch Fortuna) in einem Würzburger Antiquariatskatalog eine Handschrift aus dem 12. Jahrhundert (Cantoribus et choris cantandae comitantibus instrumentibus atque imaginibus magicis)und fühlte sich sofort von dem mysteriösen Namen Carmina Burana und vom Thema überhaupt angezogen: Schon 1935 machte er sich mit einem Studenten an das Libretto in Latein und Mittelhochdeutsch und Altfranzösisch, wählte 24 Verse aus und so entstand dieses monumentale Opus über Wein, Weib und Gesang. In dieser Neukomposition nach Stilmerkmalen des Mittelalters geht es um Weltlich-Paganes: Glück, Wohlstand, Frühling und dessen Freuden, Wein, Völlerei, Spiel und die Frauen natürlich. Das Werk ist zeitlos und weder Oper, noch Oratorium noch Kantate. Orff war der einzige von den bekannten Komponisten, der – warum auch immer – Atonaltes oder Schräges nicht in seine Musik einbezog. Er hat seine eigene farblose Ästhetik entwickelt und so – vor allem durch Carmina Burana – Weltruhm erlangt.
Der Chor in griechischer Theater-Manier, ist links und rechts der Bühne angeordnet (an die 100 Sänger). Im Hintergrund ein graues, simples Eisengerüst aus dem die Tänzer sich – manchmal sehr lüstern – herausschälten. Die schwarzen Männer im Obergeschoß der Struktur gaben dem Ganzen etwas Martialisches. Fortuna war seltsamerweise auch in schwarz gekleidet. An Farben gab es außer grau-schwarz/weiß nur hautfarbene Töne, die eine Nacktheit vortäuschen sollten, vor allem bei den Paarungs-Versen, bis dann mit der Verführung das Blutrote hinzukam. Außer ein paar weißen Hockern, die aber vor allem Accessoires der Tänzer waren, gehörte die Bühne den Tänzern und Sängern. Das ganze Spektakel war beeindruckend und mitreißend.
Der Belgier Micha van Hoecke (*1944) hat diese Carmina inszeniert – für Chor, Ballet und Solisten. Es ist nicht seine erste Carmina Burana aber diese hier ist anders, sie stützt sich sehr auf individuelle Darsteller und Solisten. Und er hat sich seinen Traum erfülllt, mit dem Modeschöpfer Emanuel Ungaro zusammen zu arbeiten. Van Hoecke hat bei Maurice Bejart gelernt und ist nicht das erste Mal in Italien. In den letzten Jahren hat u.a. Choreografien für die Scala entwickelt und eine weitere Carmina Burana für Pisa.
Es geht – wie auch sonst – bombastisch los. Fortuna taucht auf und kündigt das Ankommen des Frühlings an was ein Synonym für das Erwachen der Liebe (und Leidenschaft) ist. Die Geschichte artet in einem deftigen Saufgelage aus bis die Liebesstunde gekommen ist. Eingepackt ist diese banale Handlung in gewaltige Chorarien zu Ehren Fortunas, die für das Schicksal der Erdenbürger zuständig ist.
Orff ging sehr frei mit der Handhabung der Verse oder Strophen um, holte Personen hier weg um sie dort einzubauen. Die schöne Helena wird in einem Atemzug mit Blanziflor, eine Gestalt aus einer altfranzösischen Rittersage erwähnt. Konventionell, traditionell und gewaltig-archaisch die Musik und der Chor.
Die Sopranistin Kathleen Kim, Filippo Mineccia, Countertenor und der Bariton Jonathan McGovern waren die drei Solisten, wobei es Fortuna mit den Männern nicht immer gut meinte, ihnen fehlte es manchmal an Kraft. Aber bei eine Tanzfassung hört man auch die Musik anders. Kim war ziemlich gut.
Van Hoecke fuhr mit allem auf, was die römische Oper zu bieten hat, der ganz große Aufmarsch von Chor, Orchester und Ballet des Teatro dell’Opera di Roma. Am Pult David Coelman, manchmal etwas zaghaft; der Chorleiter ist Roberto Gabbiani.
Wenn man bedenkt, dass die Oper Rom im Sommer für ein paar Wochen ihr Haus aus Geldmangel schließen musste und Vorstellungen ausfielen oder nur mit Klavierbegleitung stattfanden, war das ein Teil eines ziemlich guten Neuanfanges!

Christa Blenk