Sacred Music for the Poor – CD Entdeckung
CD-Entdeckung: Sacred Music for the Poor – Geistliche Armenmusik in Rom um 1600
La Vallicella heißt das Viertel zwischen der heute sehr eleganten und teuren Via Giulia und der Uferstraße Lungotevere Tor di Nona. In der Reformation und Gegenreformation lebte dort die ärmere und einfachere Bevölkerung und es herrschte ein ziemlich rauer Ton (da half dann der Blick auf die direkt gegenüber liegende Engelsburg und auf den Petersdom auch nicht immer!). Der Priester und spätere – gegen seinen Willen – heilig gesprochene Filippo Neri (1515-1595) siedelte gerade aus diesem Grund dort den Sitz seiner Kirche Santa Maria in Vallicella – heute bekannt als Chiesa Nuova an. Im direkt anschließenden Oratorium (das später Borromini umbauen sollte) entstand so eine Art Musikzentrum, deren Ziel es war, die frohen Botschaften auf eine andere Weise zu verbreiten. Die Aufführungen dieser Liturgien für die kleinen Leute unter den Philippinischen Brüdern erlangten großen Zuspruch und wurden immer bekannter. Alte populäre Lieder, Madrigale, Sinfonien oder Lauden aus der Renaissance- und Frührenaissance wurden hervorgeholt und die Straße wurde zum Konzert- und Beetsaal. Der römische, teilweise geächtete, Maler Caravaggio, pflegte sich seine Modelle aus der Vallicella zu holen. Sein großes Gemälde Die Madonna der Pilger (1606) wurde damals von der Kirche abgelehnt, weil die vor der Madonna knienden Pilger schmutzige Füße hatten und die Madonna mit ihrem ausgiebigen Dekollté viel zu attraktiv war (inoffiziell stritten sich die Kardinäle natürlich um diese Werke).
Madonna der Pilger (Caravaggio in der Kirche San Agostino Rom)
Mit viel Enthusiasmus und Arbeit gelang es dieser Sub-Gemeinde bis zu dreistimmige Werke (meistens a cappella) einzustudieren und vorzutragen und gerade diese Einfachheit ist wunderschön und attraktiv. Die Werke waren nicht immer religiösen Ursprung. Oft wurden weltliche oder pagane Lieder religiös-korrekt umgeschrieben, Nymphen wurden zu Heiligen oder Diebe zu Wohltätern. Mit der Zeit erlangte diese Musik auch im offiziellen Rom einen Ruf und sorgte dementsprechend für Aufruhr, da das Oratorium eigentlich nur zu gewissen fest gelegten Zeiten (bei nächtlicher Stunde) aufgeführt oder gesungen werden durfte. Viele Komponisten, die nicht aus der Oberschicht stammten, fingen an, derartige Oratorien oder Lauden zu schreiben. Der Florentiner Giovanni Animuccia (der bis 1571 Kapellmeister im Petersdom war und gut mit Filippo Neri bekannt war), der Spanier Francisco Soto de Langa (er sang von 1562 bis 1611 in der päpstlichen Kapelle) und der Römer Giovanni Francesco Anerio (ein Schüler von Palestrina) sowie Emilio de’Cavalieri und Luca Marenzio waren einige der Hauptprotagonisten dieses Musikgenres. (Informationen stammen zum Teil aus dem umfangreichen und sehr informativen Begleitheft dieser CD).
Die Aufnahme enthält anonyme Kompositionen und Werke von den oben erwähnten Komponisten. Deh, venitene pastori von Animuccia ist eine Art Weihnachts-Madrigal, bei der die Hirten angerufen werden, den schönen Messias aufzusuchen. Cor mio dolente e tristo von Soto de Langa (1583) hat mich an John Dowlands Musik denken lassen, die von einer zarten und sehr bewegenden anonymen Instrumental-Sinfonia (1600) abgelöst wird. Zwischendurch eine etwas jüngere Instrumentalkomposition von Johann Hieronymus Kapsberger (1640) Canario für Gitarre und Theorbe. Weiter mit einem Madrigal, das Giacomo Carissimi zugeschrieben wird Fuggi fuggi quel ben (1659); hier kann man schon die ankommende Barockmusik oder wenigstens Monteverdi hören. Als Zugabe spielen und singen sie eine neapolitanische Tarantella La santa allegrezza aus dem 18. Jahrhundert. Manche Lauden oder Madrigale werden im volkstümlichen Charakter vorgetragen, andere wieder ganz klassisch. Jede einzelne der 21 Melodien ist einzigartig.
Die CD ist eine abwechslungsreiche und sehr gelungene Zusammenstellung von geistlicher und paganer Musik aus der Zeit zwischen Renaissance und Frühbarock in Mittelitalien, vor allem Rom.
Alessandro Quarta, der sich sonst eher mit Barockmusik befasst (wir denken an die unglaubliche Aufführung von vor zwei Monaten in Rom von Scarlattis Giuditta) bewegt sich hier auf den Spuren von Jordi Savall. 2011 hat er mit seinem Ensemble Concerto Romano die CD Sacred Music for the Poor produziert. Diese Musik für die Armen des 16. und 17. Jahrhundert im alten Rom, die von der offiziellen Kirche vergessen wurden, ist eine wahre Kostbarkeit.
Die Sopranistinnen Monica Piccini und Lucia Napoli, die Tenöre Baltazar Zuniga, Luca Cervoni, Vincenzi Di Donato und der Bass Giacomo Farioli singen abwechselnd. Begleitet werden sie zart und diskret von den ausgezeichneten Musikern des Ensembles Paolo Perrone (Violine); Serena Bellini (Flöten); Andrea Inghisciano (Zink), Luca Marconato und Francesco Tomani (Gitarre und Theorbe); Alfonso Marin (Cello).
Der junge italienische Dirigent und Komponist Alessandro Quarta hat das Ensemble Concerto Romano 2006 gegründet; 2009 nahmen sie bereits mit großem Erfolg am Festival Tage Alter Musik in Herne teil und treten seitdem regelmäßig in Wien, in Rom und in ganz Europa auf.
Die CD heisst: Sacred Music for the Poor at Santa Maria in Vallicella, Rome/ Populäre geistliche Musik aus der Armenkirche Roms um 1600 – Christophorus – Concerto Romano – Alessandro Quarta (aufgenommen wurde diese CD im November 2011 in der Aula Magna del Convento di S.Isidoro, Rom).
(Hinweis auf eine weitere CD von Concerto Romano und Alessandro Quarta: Luther in Rom Der Klang der Ewigen Stadt anno 1511 – ebenfalls bei Christophorus)
Christa Blenk
PS: Das Concerto Romano hat im Dezember 2014 in Rom eine wunderbare Aufführung von Scarlattis « Giuditta » präsentiert und jetzt warten wir sehnsüchtig auf diese CD!
