Forme Immateriali – Musikskulptur von Michelangelo Lupone in der GNAM
Elektronisch-zeitgenössischer Zauberlehrling
Walle! walle – manche Strecke – dass, zum Zwecke – Wasser fließe – und mit reichem, vollem Schwalle – zu dem Bade sich ergieße… und weiter unten …. schon zum zweiten Male! – Wie das Becken schwillt ! – Wie sich jede Schale – Voll mit Wasser füllt! (aus Goethe, Der Zauberlehrling)
Forme immateriali von Michelangelo Lupone. Die GNAM besitzt seit heute das erste musikalische Kunstwerk und das Publikum durfte eröffnen.
Lupone bei der Pressekonferenz und anschließend beim Interview vor seiner Musik-Kunst-Installation « forme immateriali »Forme immateriali – opera musicale adattive permanente.
Immaterielle Formen heißt die Musik-Skulptur, die Michelangelo Lupone für die GNAM als Auftragswerk geschaffen hat und die gestern Abend (06/02/2015) dort eingeweiht wurde. Und dort, in dieser Ruhezone im Museum, soll sie auch permanent verbleiben – in und zwischen den zwei Brunnen im Cortile del Partigiano (ein Innenhof im Museum).
Je nach Jahreszeit und Wetterbedingung wird das Wasser in den beiden Brunnen in einer anderen Stimmlage singen oder ein anderes Instrument wird in diesem Wasser-Orchester die erste Geige spielen. Um am Leben zu bleiben, braucht diese Elemente-, Gesten- und emotionsbestimmte Skulptur Regen, Hitze, Kälte und Einflüsse bzw. Interventionen von aussen, d.h. von den Museums-Besuchern, die mit dem Aluminium-Zauberstab das Wasser in Bewegung bringen wollen.
Metallsensoren oder Klanglinsen im Wasser verstärken den Ton, den der Museumsbesucher mit seinem Zauberstab auslöst. Dieser wird an einen Computer weitergegeben der die Fragmente, Tonsequenzen und Klangfarben analysiert und umsetzt sie und – zusammen mit der vorgegebenen Background Musik – in eine Polyphonie verwandelt. Durch die Berührung des Wassers mit einem Aluminiumstab entstehen delikate, ständig wechselnde Formen und flüchtige Klänge oder Geschwindigkeiten mit permanent wechselnden Klangfarben und Rhythmen werden hervorgerufen. Diese Dynamik legt unendliche Variationen frei. Kurzlebig und ephemer ist die subtile Vibration eines Wassertropfens und man muss gut aufpassen, um nichts zu verpassen. Das ständige Wechseln von Formen, Geschwindigkeiten, Positionen, Tönen, Wellen, Rhythmen, Dynamik und Figuren eröffnet einen unendlichen Weg von Variationen. Ruhig und langsam verläuft dieser Prozess im Winter, sagt Lupone, mal sehen was die nächsten Monate für Veränderungen hervorbringen.
Bei Wasser und Musik denken wir automatisch zuerst an Händel oder an Vivaldi. Es handelt sich hier aber nicht um eine Imitation oder um ein Nachahmen von Geräuschen oder Stimmungen ähnlich Vivaldi oder Smetana bei den Jahreszeiten oder der Moldau. Bei Lupone führen die Zeit und die klimatischen Konditionen in Zusammenarbeit mit der Menschenhand, die den Zauberstab hält, Regie. Die unterschiedlichen Wasserströmungen in den beiden gegenüberliegenden Brunnen führen säuselnde Gespräche oder diskutieren lautstark.
Der italienische Musiker und Komponist Michelangelo Lupone ist hier zum darstellenden Künstler geworden und deshalb heißt die Premiere auch Vernissage. Lupone wird aber auch zum Hexenmeister oder Magier und seine Kompositions-Skulptur bringt ständig neue Melodien hervor und ändert eigenständig die Partitur. Kein Ton ist – jedenfalls bewusst – nachvollziehbar oder wiederholbar. Jeder Protagonist gibt seine eigene Energie, Zurückhaltung, Sensibilität oder Aggression über den Stab ans Wasser ab und dementsprechend konnte man an diesem Abend sehen, wie unterschiedlich jeder neue Initiation eines Zauberlehrlings vonstatten ging. Der Meister führte es uns vor und ging dann weg. Der Innenhof des Partigiano in der GNAM ist somit zum Konzertsaal geworden. Lupone und Bianchini haben Ähnliches schon vor vier Wochen an den Trajans Märkten mit ihrer Performance ludi multifonici unter Beweis gestellt.
Vor 27 Jahren hat Lupone mit der Komponistin Laura Bianchini das CRM (Centro Ricerche Musicali) gegründet und seit dieser Zeit arbeiten sie – eigentlich wie Wissenschaftler – daran, Musik (Klang) mit Wissenschaft mit Poesie zu verbinden. Musik kann man weder riechen, noch sehen noch spüren, aber sie kann zu Wasser werden, sagte Prof. Sandro Cappelletto vor der Einweihung.
Lupone selber erzählte von der großen Herausforderung und der Begeisterung, dieses Auftragswerk zu realisieren. Die Idee war, das Museum um ein akustisches Kunstwerk zu bereichern, das die Atmosphäre in seinen Räumen aufnimmt oder unterstützt und das Publikum interaktiv mit einbezieht. Die GNAM hat somit die erste musikalische „site specific“ Skulptur in Italien oder vielleicht sogar überhaupt.
Kuratiert wurde diese Produktion des Centro Ricerche Musicale (CRM) für die Galleria Nazionale d’Arte Moderna (GNAM) von Martina De Luca. Organisiert und Koordiniert von der Direktorin des CRM, Laura Bianchini.
Christa Blenk
weitere Installationen oder Performances von Michelangelo Lupone oder Laura Bianchini
Über eine weitere Performance im Sommer 2014 hat KE schon berichtet.