Christa Linossi: Augen und Mauern
Christa Linossi – neue Arbeiten
„So manchen Mond ist es her, dass der Dollar 870 Lire und ich 32 Jahre alt war“, beginnt die knapp hundert Seiten kurze, intensive und romantische Liebeserklärung an die Serenissima. Der Ehrgeiz des Dichters zielt darauf, nach „siebzehn Wintern Ausmustern“, ihr Gesicht zu portraitieren – wie ein Maler. Und weil Joseph Brodsky sich auf seine Augen nicht verlassen will, braucht er Zeugen für das Gesehene, Puschkin und Pasternak oder Olga Rudge nimmt sie deswegen zur Intensivierung seiner Beobachtungen auf eine Exkursionen mit, sie sollen ihn bestätigen oder zum Nachdenken anregen. Joseph Brodsky kam immer nur im Winter nach Venedig, erforschte es bei Nebel, Kälte und Einsamkeit, streifte verloren durch die stillen, leeren Gassen und überquerte die grau-schwarzen Kanäle. Liebe, Treue, Sehnsucht, Angst, Schmerz begleiteten ihn. Ein Flaneur der Kälte, umgeben von Mauern, Kanälen und Gebäuden, die im Laufe der Zeit viel gesehen und erlebt haben und Novellen schildern, die vorher mit den Augen aufgezeichnet wurden. Süchtig wird er nach dieser Stadt und muss immer wieder zurückkommen, obwohl die Feuchtigkeit regelmäßig seine Knochen klamm werden lässt und ihn zum Husten bringt. In „Fondamenta degli Incurabili“ (Ufer der Verlorenen) beschreibt er all dies und noch viel mehr. Kein Wort zu viel, keines zu wenig!
Sie tut es ihm gleich. Wenn Christa Linossi durch Venedig und Padua streift und mit der Kamera das aufnimmt, was die Mauern einerseits gespeichert haben und sie andererseits hineininterpretiert. Im Gegensatz zu Brodsky muss sie allerdings gegen die Touristenströme ankämpfen und ruhige Ecken finden, um das Geflüster der Mauern hören zu können. Später, wieder zuhause, wird sie alles verarbeiten und umsetzen. Und so wie Brodsky immer wieder nach Venedig zurück muss, hat sie Sehnsucht nach den alten, norditalienischen Mauern, nicht weit weg von ihrer Heimat und doch eine andere, ältere und so ehrwürdige Welt.
Augen überall: Im Museum, in Städten, zwischen Mauern und auf Plätzen. Sehen und gesehen werden, finden und gefunden werden oder beobachten und beobachtet werden. Es gibt kein Entkommen. Sie sind überall. Das Moribunde an Venedig ruht in den alten Mauern, verfolgt den sensiblen Besucher und lässt ihn nicht mehr los. Vergänglich und doch ewig bleibend suchen die Augen den Kern, die Seele! Und obwohl wir es nicht vermeiden können, dabei an George Orwell oder an die überall installierten Überwachungskameras, legale und illegale, zu denken, wäre es zu einfach, Christa Linossis Arbeiten wie Wer was bin ich oder die Blickrichtungen einfach auf eine politische zeitgenössische Komponente zu reduzieren. Hier ist sehr viel mehr vorhanden.
In Venedig, Padua und München sind die letzten Werke von Christa Linossi entstanden und sie reiht sich somit in die Galerie der Suchenden ein. Sind es ihre eigenen Augen, die durch die Mauern schauern oder die Lippen, die die Geheimnisse flüsternd weiter geben?
Blickrichtung 4 spielt sich in der Neuen Pinakothek in München ab. Auge und Museum ist eine gut nachvollziehbare Konstellation, während das Auge auf öffentlichen Plätzen uns sehr viel mehr Spielraum zum Nachdenken läßt. Ist es der durch Venedig hastende Shylock oder Casanova auf der Flucht vor einem Ehemann, vielleicht Achenbach, der Tazio nachhastet oder vor der Cholera flieht? In Padua sucht Baron von Innstetten möglicherweise schon nach seiner frisch angetrauten Effi, das Drama vorhersehend. Oder ist es ein von Verfolgungswahn und seinen Gläubigern gehetzte Richard Wagner, der dann in Venedig seine Ruhe findet?
Was hat Christa Linossi dort alles erlebt und was hat sie von den Plätzen und Mauern erfahren, während sie im Dialog mit Peggy Guggenheim über die Biennale di Venezia oder über die Fundamente der brokatbestückten und zierlichen Renaissance-Palazzi zwischen den Kanälen diskutiert. Kunst entsteht durch Gegenpol meinte Joseph Beuys einst und spricht ihr damit aus der Seele.
Traurigkeit ist nur eine Mauer zwischen zwei Gärten (Khalil Gibran).
Aus den Mauern ausbrechend, fast erholsam auf den ersten Blick, taucht plötzlich eine Landschaft auf. New landscape ist beim genaueren zweiten Hinsehen nur eine Fortsetzung der Augenserie: eine grün-blaue Ruhe zwischen dem erdrückenden Berg. Der klare, intensive Himmel trügt, wir versinken in einem Schatten, der keiner ist. Ein mysteriöses Trompe l’oeil das dann doch wieder keines ist.
Mark Twain hat einmal gesagt, dass man sich nicht auf seine Augen verlassen könne, wenn die Vorstellungen unscharf seien! Besser kann man die letzten Arbeiten von Christa Linossi nicht beschreiben.
Frühere Arbeiten von Christa Linossi finden Sie hier:
Christa Blenk
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