La Giuditta von Alessandro Scarlatti
nach der Aufführung – Concerto Romano
Verschämte Kriegerin Gottes oder verführerische Mata Hari
Alessandro Scarlattis „La Giuditta“ in der Filarmonica Romana (18.12.2014)
Wie fast immer bei einem Oratorium, behandelt der süditalienische Komponist Alessandro Scarlatti (1660-1725) auch bei „La Giuditta“ ein allegorisches Thema aus der Bibel. 1693 entstand eine erste Version der Judith für fünf Stimmen. 6 Jahre später verfasste Scarlatti eine Zweite für drei Stimmen, und diese haben wir am Donnerstagabend im Teatro Olimpico gehört. Kardinal Pietro Ottoboni hat das Libretto geschrieben, er war der Großneffe von Kardinal Ottoboni, der 1689 als Alexander VIII Papst wurde; in einer Zeit, in der die Oper in Rom verboten war.
Schon 1676 erließ der strenge und Kunst-uninteressierte Papst Innozenz XI erstmals ein Opernverbot in dem seiner Meinung nach total verkommenen und unmoralischen Rom. Für ihn waren bildende Künste verwerflich und Opern anstößig. Und wie reagiert die römische Musikwelt darauf? Sie erfindet das Oratorium, nimmt biblische Themen zum Vorbild und tarnt von nun an Opern-ähnliche Aufführungen als kirchliche Oratorien und macht sie wieder salon- bzw. kirchenfähig. Genialer Schachzug, wenn man bedenkt, dass diese Musik nun wieder unzensiert auch in der Adventszeit aufgeführt werden konnte – Hauptsache der biblische Inhalt stimmte. „La Giuditta“ von Alessandro Scarlatti fällt genau in diese Kategorie.
Als Händel 1707 nach Rom kam, herrschte das Opernverbot immer noch, deshalb wurden viele dieser Musikspiele oft zwar ganz privat aber im großen Rahmen aufgeführt.
Für „La Giuditta“ hat Scarlatti einen Teil aus dem apokryphen Buch Judit aus dem Alten Testament (ca. 150 v.C.) vertont.
Die Geschichte beginnt als König Nebukadnezar, der Assyrer, Betulia besetzt und Unterwerfung und hohe Steuern von den Israeliten fordert. Die Witwe und Prinzessin Judith verwandelt sich kurzerhand in eine Art Geheimagentin à la Sidney Bristow und beschließt, sich in die Höhle des Löwen, d.h. in Holofernes Lager zu begeben, um die Stadt und ihr Volk zu retten. Sie schleicht sich, begleitet von ihrer Amme, in das Herz und Lager des höchsten Feldherrn Holofernes. Mit ihrer Schönheit verführt und betört sie ihn, macht ihn wahrscheinlich betrunken und schlägt ihm nach einem ausgiebigen Bankett den Kopf ab. Nach erfolgreicher Mission kehrt sie – wahrscheinlich ohne Reue – mit ihrer Amme nach Betulia zurück und präsentiert ihrem Volk den Kopf. Somit ist Israel gerettet. Es bleibt bei den meisten Aufführungen offen, ob es ihr leid tat oder nicht. Ist sie eine Heldin oder eine Mörderin?
Die Geschichte der schönen und mutigen Witwe Judith ist und war nicht nur für die Musik ein Dauerbrenner, im Barock haben diese Geschichte unzählige Maler aufs Papier gebracht. Und auch wenn es so aussieht, als ob die Story eine Verherrlichung der Gewalt oder der Tötung wäre, ist es das Gegenteilt und verurteilt letztendlich die Gewalt.
Alessandro Scarlatti, der hauptsächlich in Neapel und Rom tätig war, wo seine Kirchenmusik ohne Einschränkungen aufgeführt wurde, hat trotzdem 114 Opern geschrieben und war zu Lebzeiten vor allem als Opernkomponist berühmt. Heute sind eher seine geistlichen Vokalwerke bekannt, wie etwa Kantaten, Motetten und Messen. Das liegt daran, dass es von seinen Opern nur sehr wenige Einspielungen gibt und sie deshalb nicht aufgeführt werden. Die letzten Jahre seines Lebens hat er sich vor allem mit kirchlicher Musik oder Oratorien befasst. Er stammte aus einer süditalienischen Musikerfamilie und einer seiner neun Söhne, Domenico, gelangte ebenfalls zu Weltruhm.
Italien bräuchte so jemanden wie William Christie, der vor ca. 40 Jahren viele Werke von Luly und Rameau ausgegraben und bearbeitet hat. Vielleicht hat es ihn mit Alessandro Quarta ja schon gefunden!
Scarlattis Oratorien beweisen durch die Bank seine Gabe, mit Texten umzugehen und die potentielle musikalische Dramatik darin bis ins Letzte herauszuholen. Minutiös und kraftvoll arbeitet er Situationen und Höhepunkte der Geschichte heraus. Bach und Händel und auch Caldara haben viel von ihm gelernt und übernommen. Er ist sozusagen der Gründer der neapolitanischen Opernschule aber auch der Erneuerer der Barockmusik. Man spricht von 30 Oratorien, wobei 22 heute noch bekannt sind und zum Teil eingespielt. Mit der zweiten Version von La Giuditta für 3 Stimmen, die wir gestern gehört haben, hat er eine neue Musik oder besser gesagt, die Musik des 18. Jahrhundert eingeleitet. Gleich zu Beginn fühlt man sich fast wie bei Rameau. Es ist nicht zu verstehen, warum so viele seiner Werke noch tief vergraben in den Archiven herumliegen
Der Hamburger Komponist, Musikschriftsteller und Mäzen Johann Mattheson (1681-1764) hat 1744 folgendes geschrieben: „Meines wenigen Erachtens ist ein gutes Operntheater nichts anderes als eine hohe Schule viel schöner Wissenschaften, worin zusammen und auf einmal Architektur, Perspektive, Malerey , Mechanik, Tanzkunst, Actio oratoria, Moral, Historie, Poesie und vornehmlich Musik zur Vergnügung und Erbauung vornehmer und vernünftiger Zuschauer sich auf das angenehmste vereinigen und immer neue Probe geben“. Damit hat er die italienische, französische und englische Oper im 18. Jahrhundert in einem Satz zusammengefasst.
Aber nun endlich zur Aufführung.
Das Concerto Romano mit Alessandro Quarta präsentierte mit drei vorzüglichen Sängern dieses Oratorium.
Francesca Aspromonte, eine hinreißende und überzeugende Judith, die mit 23 Jahren schon eine unglaubliche Stimme und faszinierende Ausstrahlung hat. Vollgepackt mit dramatischer Energie, Sicherheit und Ausdruckskraft überraschte sie immer wieder. Holofernes war der italienische Tenor Luca Cervoni. Er hatte absolut nichts Bösartiges oder Aggressives an sich und war mit seiner sanften, schönen und geschmeidigen Stimme eher vom Typ Holofernes Softie. In ihn hätte sich Judith vielleicht auch verlieben können, aber das Libretto will das ja nicht, obwohl es durchaus Inszenierungen gab, z.B. in Mainz vor ein paar Jahren, die das anders interpretierten. Der erste Akt war eigentlich schon perfekt, aber im zweiten Akt haben sie sich alle – auch die Musik – noch übertroffen! Wunderschöne Cello-Partien vor allem bei Judiths Arie „Non ti curo o libertà“ und dann bei einem Duo von Judith und Holofernes „Piega, o Duce, il capo alterno….“ Und er antwortet „Ogni cura, ogni pensiero…“ Kristallin sie, sanft er. Und dann natürlich Hilary Summers, sie war die Amme, groß, stark, verlässlich, beschützend. Mit ihrer warmen, regelmäßigen und samtenen Stimme war sie perfekt für diese Rolle. Sie hat wahrscheinlich die schönste Arie im ganzen Stück. Ein Lamento im zweiten Akt „Dormi, o fulmine di guerra…“ hier wird der Krieg, die Menschheit und Judith bedauert, die sich hingibt um das Volk zu retten. Bei dieser Arie bekam man wirklich eine Gänsehaut und die Augen wurden feucht. Summers war unglaublich überzeugend und ausgezeichnet. Und nach einem Duo der Amme und Judith die Glück und Erfolg heraushören lässt, geht es in Judiths letzte Arie, die dann wohl eine Anti-Kriegs-Arie ist und nochmals auf ihr Opfer für die Freiheit eingeht. Obwohl es so gesehen kein Opfer war, sondern eventuell eines hätte werden können, wenn sie den Rückzug nicht geschafft hätte. So geht sie als Gotteskriegerin und Heldin aus der Geschichte hervor.
Begleitet wurden diese drei fabelhaften Sänger mit viel Enthusiasmus und Hingabe vom Concerto Romano unter Alessandro Quarta. Letzterer lässt sich durch die Musik tragen, einfach, ohne Schnörkel und ohne Kitsch. Man spürt richtig, wie viel Spaß es ihm macht mit diesen Musikern zu arbeiten und wie die Musik durch seinen Körper über die Hände auf die Musiker überspringt (er führt selber auch so etwas wie einen persönlichen Tanz auf).
Alessandro Quarta hat das Concerto Romano gegründet. Seit das Ensemble 2009 bei den „Tagen Alter Musik in Herne“ triumphierte, sind sie viel gefragt und treten vor allem in Deutschland (Kölner Philharmonie), Österreich (Konzerthaus Wien) und Rom (meistens im schönen „Oratorium del Gonfalone) auf. Das nächste Jahr beginnt mit einer Vorstellung im Konzerthaus in Wien beim Festival Resonanzen, auch wieder mit Scarlatti.
Cristina Crespo (Muse mit Tarnkappe)
Christa Blenk