Abschlusskonzert der Stipendiaten der Villa Massimo 2014
Sala Santa Cecilia – Auditorium Parco della Musica
Artikel auch für KULTURA EXTRA
Abschlusskonzert mit dem Ensemble Modern
Jedes Jahr im Dezember zieht die Villa Massimo zur Aufführung des lang erwarteten Abschlusskonzertes in das größte Konzertzentrum von Rom, ins Auditorium Parco della Musica und dort in den größten Saal, in die Sala Santa Cecilia. Auch dieses Jahr reiste das Ensemble Modern wieder dazu an. Der große Saal, in dem Platz für fast 3000 Personen ist, ist leer (das ist so gewollt) und die Zuhörer teilen sich mit den Musikern die Bühne, die durch eine große Trennwand optisch und akustisch vom Saal getrennt ist. So hat man die ganze Dimension dieses riesigen Saales im Hintergrund und doch einen Kammerkonzert-Effekt.
Dieses Jahr waren außerdem alle vier Komponisten, deren Werke auf dem Programm standen, persönlich im Saal anwesend!
Salvatore Sciarrino (*1947 Palermo) hat sich auf die Bearbeitung von Klassikern spezialisiert. Gestern Abend spielte das Ensemble Modern ein von ihm bearbeitetes Adagio von Bach und eines von Mozart sowie eine Komposition von 1981 „Introduzione all’oscuro“.
„Wunderblock“ ein 8-Minuten-Stück für Altflöte, Bass-Klarinette, Percussion und Geigentrio (2007/2008) von Robert HP Platz (*1951 Baden-Baden) folgte. Dieser Zyklus besteht aus den drei Stücken Kiefer, Next und Sekundenstücke. Platz lehnt sich hier an Notizen über den Wunderblock von Sigmund Freud an. Die drei Minikompositionen waren auch auf der Bühne optisch getrennt, Altflöte auf der einen Seite, Bassklarinette und Schlagzeug in der Mitte und weiter nach hinten versetzt das Streichertrio. Die Pausen zwischen den Stücken gehörten zur Komposition.
Die Hauptprotagonisten des Abends waren allerdings die Musikstipendiaten der Villa Massimo, Hanna Eimermacher und Vito Žuraj. Die zwei gestern uraufgeführten Werke sind während ihres Stipendiaten-Aufenthaltes in Rom dieses Jahr entstanden.
Instrument von Hanna Eimermacher für « Überall ist Wunderland »
Hanna Eimermacher (*1981 Gelsenkirchen) hat u.a. bei Beat Ferrer und Mark Andre studiert und hielt sich 2010/11 an der University Buffalo, New York auf. 2012 hat sie den Berlin-Rheinsberger Komponistenpreis gewonnen. Ihre Werke wurden u.a. bei der Salzburger Biennale oder an der Oper Frankfurt am Main aufgeführt. Sie lebt in Berlin.
Überall ist Wunderland (2014) ist eine Neufassung für 19 Musiker für das komplette Ensemble Modern und wurde gestern Abend in dieser Fassung uraufgeführt. Von den 15 Minuten waren 2 dem Schweigen vorbehalten. Die Musiker nahmen im Saal ihren Platz ein und schauten regungslos ins Publikum und so ging es auch zu Ende. In den verbleibenden 13 Minuten schickt Eimermacher die Musiker und das Publikum auf den GRA (der GRA ist ein Autobahnring um Rom, meistens verstopft, hier macht Jeder was er will , um ans Ziel zu kommen und ohne Rücksicht auf Verluste und die einzige Verkehrsregel ist die Gewicht hat ist „Einschüchterung“ . Schließlich kommen aber doch alle meistens an ihrem Ziel an). Es beginnt mit zwei Noten, also Stau, alles stagniert, dann Hupen, Schimpfen, eine Ambulanz rast vorbei, die Polizei gleich hinterher, weiter weg hört man Zirkusgeräusche und dann geht es zweimal an einer Schule vorbei. Zwischendurch stagnierte der Verkehr wieder und die zwei Anfangsnoten übernehmen. Hanna Eimermacher hat dafür ein eigenes Perkussionsinstrument entworfen, das abgesehen von den normalen Schlagzeugutensilien aus Suppendosen, Metallstangen, Wassergläser, Schlagzeug und einer Art Glockenspiel bestand. Dreimal gleich stand es auf der Bühne und sogar Frank Ollu, am Pult, musste mithelfen, um das Chaos nicht ausarten zu lassen. Sehr amüsant und wie gesagt, diese Komposition konnte einfach nur in Rom entstehen. Nach dem Ausklingen des letzten Tones – was gar nicht so leicht zu erkennen war, da die Suppendosen unter der Glocke noch nachhallten, neigten sich die Musiker 10 cm nach rechts und wieder Schweigen, dann ging das Licht aus und Ende. Witzig und Originell.
Vito Žuraj (*1979) ist dieses Jahr auch Gast an der renommierten Villa Massimo. Seine Komposition Runaround für vier Blechbläser und Orchester war an diesem Abend also die zweite Welturaufführung. Žuraj ist in Maribor/Slowenen geboren, hat u.a. bei Wolfgang Rihm studiert. Von 2009-2010 bekam er ein für ihn sehr wichtiges und wegweisendes Stipendium bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie. Man merkte auch die Verbundenheit mit diesem Ensemble. Runaround hat er dem Ensemble Modern und den vier ausgezeichneten Blechmusikern auf den Leib geschrieben. Ansonsten arbeitet Žuraj mit der New York Philharmonie, dem Scharoun Ensemble Berlin oder dem Klangforum Wien. 2012 hat er den Komponistenpreis von Stuttgart gewonnen. Zur Zeit ist der 35jährige Dozent für Instrumentierung und Gregorianischen Gesang an der Hochschule für Musik Karlsruhe.
Bei Runaround wechselen sich Jazz-Referenzen mit neuen Klängen ab und erzeugen eine beeindruckende Kompositionsdramaturgie, die immer wieder mit überraschenden Tonelementen beeindrucken, wie sie durch den Raum schwappen und eine Verbindung zwischen Musiker und Zuhörer herstellen. Durchkonstruiert und durchkomponiert bis in den letzten Ton, bleibt hier nichts dem Zufall überlassen. Diszipliniert, schnell und doch übermütig und von permanenten und enthusiastisch aber kontrollierten Einfällen gepackt, erforscht Žuraj die bekannten Musiksprachen und erfindet neue. Und wer könnte ein besserer Partner als das Ensemble Modern sein? Die 15 Musiker sind über die gesamte Bühne, auf der wie gesagt auch das Publikum sitzt, verteilt. Die Streicher auf der einen Seite, Cello und Klarinette auf der anderen oder hinter dem Publikum. Die vier Blechsolisten kämpfen in der Mitte. Die Gruppen werfen sich gezielt die Töne zu, ohne dass auch nur einer auf dem Boden landet, die von der nächsten Gruppe aufgefangen werden, sie umsetzen, modifizieren oder verbessern und weiter geben. Wie ein gut funktionierendes Netzwerk oder ein Staffellauf. Zum Schluss geraten die vier Blechsolisten an das Limit des mit Instrumenten Machbaren und dann übernimmt der Mund die Tonproduktion. Ein ausgezeichnetes, spannendes und auch sehr ästhetisches Stück das leider nur 10 Minuten dauerte.
alle neunzehn Musiker haben unsere uneingeschränkte Bewunderung, aber die zwei Trompeter, Valentin Garvie und Sava Soianov, Saar Berger mit dem Horn und Uwe Dierksen an der Posaune die Runaround meisterten, müssen einfach nochmals erwähnt werden für diese fantastische Leistung.
Christa Blenk