Jenseits der Genzen
Deutsch-französisches Konzert im Palazzo Farnese
Jenseits der Grenzen
11. November
Mit einem sehr fesselnden und das 20. Jahrhundert repräsentierenden deutsch-französischem Programm wurde gestern Abend an den Beginn des 1. Weltkrieges erinnert und der Mauerfall vor 25 Jahren gefeiert.
Die ankommenden Konzertgäste sammelten sich im Innenhof des Palazzo Farnese und konnten dem Cellisten Fabio Cavaggion bei seiner Interpretation von Bachs Suite Nr. 3 für Violoncello – in Erinnerung an die Interpretation von Mstislav Rostropovich am 11. November 1989 vor der Berliner Mauer – zuhören. Diese Musik in Verbindung mit dem schwindenden Licht in der hereinbrechenden Dämmerung und dem milden Herbstabend brachte eine Art Zaubergartenstimmung hervor.
Das Hauptkonzert fand dann kurz darauf im ersten Stock dieses grandiosen Palazzos statt, interpretiert vom wirklich ausgezeichneten und noch sehr jungen Ensemble Exponentiel, welches der Komponist Geoffroy Drouin 2013 ins Leben rief.
Eines seiner Werke Cinq Méditations sur Le Bernin pour piano, flûte, violon e violoncelle, komponiert 2012 – da war er noch Stipendiat der Villa Medici in Rom – stand ebenfalls auf dem Programm. Dieses kurze Stück hat uns in 12 Minuten durch Rom gejagt, um einige der Werke des Barockbildhauers Gianlorenzo Bernini aufzuspüren. Es beginnt und endet mit Ekstase. Der erste Satz beschreibt also Die Verzückung der Heiligen Theresa von Avila, die Skulptur ist in der Kirche Santa Maria della Vittoria zu finden. Weiter geht die Reise in die Galleria Borghese, dort rastet Drouin zuerst beim David, der sich mit Groll und Mut dem Goliath stellt (man sagt, es sei ein Eigenportrait von Bernini – wütend, selbstsicher und entschlossen). Wir bleiben in der Galleria Borghese und begeben uns zwei Räume weiter zu Apollo und Daphne. Drouin lässt uns die Gier von Apollo, die Panik von Daphne und den Zauber der Verwandlung in den Lorbeerbaum miterleben. Jetzt erlaubt er sich einen kleinen Exkurs zum anderen Barockgenie, nämlich Borromini, und schickt uns zur Borromini-Perspektive in den Palazzo Spada (direkt gegenüber dem Palazzo Farnese, wo wir gerade sind). Hier geht es um optische und sonstige Täuschung und um Überraschung. Die letzte Station befindet sich in Trastevere, in der Kirche von San Francesco da Ripa. Hier darbt und leidet sie, Berninis „Verzückung der seligen Lodovica Albertoni“. Eine Apothesose von Klang und Farbe ganz barock und warm, in der neue und alte Klänge sich finden, sich abschätzen, sich gegenübertreten, sich ablehnen um sich dann doch aneinander zu reihen. Drouin lässt bei diesem kurzen Stück die Zuhörer an seinen Gedanken und an seiner Bewunderung für diese beiden Barockgrößen teilhaben – eine wunderbare Erfahrung, vor allem wenn man die Bernini-Werke kennt!
Die weiteren Werke auf dem Programm waren ein kurzes Flötenstück von Debussy (Syrinx pour flûte – 1913) impressionistisch vorgetragen von Giorgia Santoro; sechs kurze Pianostücke op. 1 (1911) von Arnold Schönberg; ein Experimentierstück Guero pour Piano (1970) von Helmut Lachenmann, dieses war so delikat, lautlos und zart, dass nur ab und zu ein Streichen über die Tasten oder ein hoher Ton bei uns in der 10. Reihe ankam (diesen akkustischen Verlust hatte uns der Pianist allerdings vorher schon angekündigt). Bedauernswert war es trotzdem. Von Hans-Werner Henze gab es zwei kurze, schöne Serenaden aus 1949 für Geige und Cello; die Sonate Nr. 3 für Klavier und Geige von Paul Hindemith (1935) und zum Schluss 27 Minuten Ravel mit dem Klaviertrio in A-Moll (1914). Francesco D’Orazio (Geige), Nicola Fiorini (Cello), Giampaolo Nuti (Klavier) haben hier völlig neue und spannende Schattierungen und Klangfarben oder Rhythmen hervorgeholt. Das Stück durchwandert alle Phasen, die den Ersten Weltkrieg befürchten, hoffnungsvoll weggewischen und dann wieder angekündigen (so hätte sie Gershwin gespielt!). Traditionelle Musik- und Interpretationsgrenzen will dieses junge Ensemble einreißen. Wir werden sicher noch viel von ihnen hören! Ausgezeichnete Performance!
Christa Blenk
25 Jahre Mauerfall – der Trabi durchbricht das Teatro Marcello