August Sander und Helmar Lerski in der Villa Massimo
August Sander und Helmar Lerski in Rom

Zusammen mit der Kuratorin Ute Eskildsen hat die Villa Massimo diese Ausstellung auf die Beine gestellt. August Sander mit Helmar Lerski zusammen zu bringen, ist eine geniale Idee, denn unterschiedlicher könnte man die Zeit zwischen den Kriegen nicht darstellen.

Dadurch, dass ich sowohl die einzelnen Schichten wie auch deren Umgebung durch absolute Photographien festlegte, hoffe ich eine wahre Psychologie unserer Zeit und unseres Volkes zu geben, schrieb Sander 1925 in einem Brief an einen Verleger um sein Projekt bestehend aus 45 Mappen zu je 12 Fotografien: Menschen des 20. Jahrhunderts vorzustellen (Quelle Ausstellungskatalog).
Sander schuf mit dieser Bestandsaufnahme der damals existierenden Berufsstände ein Portrait der Gesellschaft das – zusammen mit der Philosophie der Neuen Sachlichkeit – die Sicht auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts definitiv und langfristig prägte!

Lerski näherte sich auf eine ganz persönliche und manieristische Weise den Menschen bzw. deren Gesichtern. Seine Fotografien stehen ganz im Zeichen des Expressionismus und von Stumm- oder Tonfilmproduktionen wie Das Kabinett der Dr. Caligari, der Golem, oder Nosferatu. Seine Nahaufnahmen sind beunruhigend und nicht bequem. In drei Räumen sind die Fotos ausgestellt und die Kuratorin hat Lerski in die Mitte genommen. So fällt man von Sanders harter und einfacher aber klar-geregelter Welt in die expressionistische Ungewissheit von Lerski, um dann wieder im dritten Saal zur Ruhe zu kommen.
Sanders Modelle kannten ihren Platz in der Gesellschaft und wussten wo sie hingehörten. Da ist der stolze rundliche Bäckermeister, die Dorfmusiker, die Burschen auf dem Weg zum Tanz mit einem hoffnungsvollen Blick vielleicht die Richtige zu finden, die rauchenden Vamp-Ehefrau vom Maler Peter Abelen (diese provozierende Frau hat Sander 1928 fotografiert), dann der Bauer Schu aus Neitersen, die Bäuerin Frau Enders, und ein frühes Foto aus 1912, das eine Serviererin mit kniefreiem Rock zeigt. Aber es gibt auch den eleganten Bankdirektor mit sauberen Händen und übergeschlagenen Beinen im bequemen Sessel oder eine knallharte Maklerin mit langem Mantel sowie die Stenotypistin hinter ihrem Schreibtisch. Herrliche Zeitdokumente und geniale Momente, die man lange betrachten kann, bis man zu jedem Klischee die richtige Geschichte gefunden hat. In Sanders Foto-Serie sind die Dramen des Ersten Weltkrieges ausgeklammert. So als ob die Zeit für immer stehen geblieben wäre.
In den aufgewühlten und bewegten Jahren zwischen den beiden Kriegen wirkten seine Fotos allerdings anachronistisch und altmodisch. Die Welt des Kubismus, Dada und des Expressionismus verlangte auch eine neue Foto-Ästhetik, der Lerski sehr viel näher kam. Nichtsdestoweniger landete Sander in den 40er Jahren in der entarteten Künstlerecke.
Helmar Lerskis Arbeiten wurden noch nie in Italien gezeigt und kommen auch sonst wenig an die Öffentlichkeit, informierte uns die Kuratorin. Gezeigt werden an die 20 Fotografien aus einer Reihe, die Lerski 1936 in Tel Avis von dem Bauzeichner Leo Uschatz gemacht hat. « Verwandlungen durch das Licht » heißt die Serie, die 175 Fotografien umfasst. Lerski ließ an unterschiedlichen Stellen auf dem Dach Spiegel anbringen. Der Effekt des sich darin brechenden und verrückt spielenden Sonnenlichtes veränderte permanent die Mimik und den Charakter des Modells. Sander hingegen machte seine Aufnahmen bei normalem Licht und ohne „Tricks“, obwohl er später auch viel im Atelier arbeitete. Die Fotos von Lerski wirken deshalb vielleicht künstlerischer und der Zeit angepasster und erinnern teilweise sogar an Bronzeskulpturen. Lerski war fasziniert von der möglichen Metamorphose der Personen; Sander Fotografien hingegen erzählten das aktuelle Leben ohne Schnörkel oder prätentiösen Barock. Ob Lerski auf der Suche nach einem neuen Schönheitsideal war oder das Hässliche hervorheben wollte, bleibt dem Betrachter überlassen. Hier spielte natürlich das Jahr 1936, das Jahr der Olympiade in Berlin mit seiner besonderen – politischen – Ästhetik eine Rolle.
Lerski (1871-1956) - das ist nicht sein richtiger Name - wurde als Sohn eines polnisch-jüdischen Auswandererehepaars 1781 in Straßburg geboren. Als Schweizer Staatsbürger ging er 1893 in die USA und trat als Helmar Lerski verschiedenen Schauspielbühnen bei, bis er sich 1910 sein erstes Fotoatelier in Milwaukee einrichtete und relativ schnell viel Erfolg als Porträtfotograf hatte. Die letzten Jahre vor seiner Rückkehr 1915 nach Deutschland, hatte er eine Anstellung als Gastdozent in Austin/Texas. In Berlin versuchte er sich als Kameramann und kam mit Fritz Lang in Berührung. Das sieht man: seine Fotos ähneln Filmauszügen. Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, ging er endgültig nach Tel Aviv. Erst 1948 kehrte er wieder nach Zurück zurück wo er 1956 verstarb.
Der Sohn eines Bergbauzimmermanns August Sander (1876-1964) ging als junger Soldat nach Trier, landete bei einem Fotografen und machte sich um die Jahrhundertwende auf zu einer zweijähren Lehrwanderschaft, die ihn u.a. auch nach Berlin und Dresden brachte. 1904 eröffnete er ein Atelier in Linz, ging aber 1910 nach Köln zurück, wo er 1964 auch starb.
Diese Ausstellung soll der Beginn einer Serie von Ausstellungen über deutsche Fotografie in der Villa Massimo werden. Sie ist noch bis zum 7. November zu sehen.
Christa Blenk
mehr : http://www.villamassimo.de/it/attualita