Licht und Power_Game1 – Aufführung des CRM
Und immer lockt das Weib!
Artikel für KULTURA EXTRA
Elektronische Musik trifft auf zeitgenössische Choreografie
Das Centro Ricerche Musicale (Musikentwicklungszentrum – CRM) ließ das Sommerprogramm am 17.9. (und 18.9.) mit einem sehr außergewöhnlichen und spannenden Musik-Happening ausklingen. Eine ganze frische Kooperation (2014 entstanden) zwischen dem italienischen CRM (Musikentwicklungszentrum) und der Tanzkompanie Excursus unter Leitung von Ricky Bonavita.
Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den Augenblick als bedingt. Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei. Oder:„Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“ (aus Goethes Wahlverwandtschaften Teil 2, Kap. 5) – das Motto des Abends.
Power_game 1 ist viel mehr als nur ein Dialog zwischen Körper, Körpersprache und Bewegung. Es ist ein akrobatischer und überirdischer Hexentanz, der Himmel und Hölle und Macht und Ohnmacht behandelt. Immer wieder sind Parallelen zu Stockhausens „Licht“ festzustellen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Huldigung der Macht und die dazu gehörenden Kniebeugen, symbolische Kämpfe und Mann-Frau-Mann Konflikte sowie die Auseinandersetzung damit bis hin zu Reue und Versöhnung und zur einsamen Meditation. Ricky Bonavita hat selber die Rolle von Ironie und Dramatik, vielleicht die des Luzifers, getanzt und sich dazu ein bös-zynisches Gesicht gemalt.
Vier Tänzer in zum Teil abgerissenen oder zerrissenen Straßenkleidern stürmen nacheinander auf die Bühne und beschnuppern sich – es ist ein Abtasten der Dominanzmöglichkeiten. In einem Hin- und Her versuchen sie sich kennen zu lernen. Bis plötzlich zwei Frauen auftauchen (vielleicht Charlotte und Ottilie), verführerisch, abweisend, schön, aus einer anderen Welt, stehen sie im krassen Gegensatz zu den herunter gekommenen Männern, die sie verachten und verstoßen und von denen sie sich dann wieder umgarnen lassen, um gleich darauf wieder auseinander zu gehen und sich dem Nächsten anbieten. Zum Schluss ist nicht mehr ganz klar, wer über wen Macht ausübt und wer wen verführen will oder kann. So geht das Spiel ca 40 harte Minuten lang – auch für uns faszinierte Zuschauer war es anstrengend, die Musik fordert viel und lässt einen immer wieder von Neuem die Geschichte erfinden. Irgendwann haucht sie aus bis nur noch das gewollte Knistern der Lautsprecher übrig ist und die Tänzer nacheinander und allein die Bühne verlassen. Eine bemerkenswerte Darbietung. Michelangelo Lupone hat eigenhändig seine Musik von der ersten Reihe aus geregelt und kontrolliert, was der Aufführung eine ganz persönliche Note gab.
Vorbereitet darauf wurden wir durch « sound scenes » aus Stockhausens Licht-Zyklus (Freitag).Vibra Elufa, Perkussions-Zyklus und Tierkreis. Jonathan Faralli stand in einem Gefängnis aus Schlagzeugen, Vibraphonen und sonstigen Gegenständen, auf die man schlagen kann. Und über dieses Instrumenten-Lärm-Gefängnis war eine Art dicker Lüftungsschlauch drapiert (vielleicht eine Anspielung an das unendlich-Zeichen von „arte-e-scienca – segnoinfinito“), das auch zum Einsatz kam. Der Florentiner Faralli ist ein Meister, der sonst mit Berio oder Cage arbeitet, er war bis zum Äußersten gespannt, dynamisch, überlegen und ruhig – kurz: großartig. Das Eva-Versuchungs-Epos aus Freitag (wohlweislich an einem Mittwoch aufgeführt, um den Verfechtern des unglückbringenden Freitag gerecht zu werden) war die perfekte Einleitung zu power_game 1. Stefano Pirandello hat das Lichtdesign entworfen und die einzelnen Stücke abwechselnd in grünes, rotes, blaues oder gelbes Licht getaucht. Um etwas Passenderes zu finden, müsste man sicher lange suchen.
Zuerst fanden wir es schade, dass wir nicht mehr von der Freitags-Geschichte hören durften; das Elektromusik-Balletstück hat uns dann aber komplett entschädigt.
Karlheinz Stockhausen (1928-2007) hat fast 30 Jahre an „Licht“ gearbeitet. Die Aufführungspraxis in Deutschland oder in der Welt wird dem nicht gerecht. Es gibt Aufführungen von einzelnen Tagen wie Samstag in München vor nicht all zu langer Zeit oder Freitag in Leipzig 1996 (damals hat die Presse geschrieben, dass sich die Opernhäuser von Licht distanzierten – viel hat sich ja wohl nicht geändert). Köln hat sich vor zwei Jahren an den Sonntag gewagt. Ich weiß nicht, ob es schon mal irgendwo komplett aufgeführt wurde.
Der italienische Komponist Michelangelo Lupone (*1953) entwickelt elektronische Musik, die fast immer mit Kunst-Installationen kombiniert wird, so hat er z.B. mit Pistoletto, Uecker oder Paladino und vor kurzem mit Livia Galizia Projekte entwickelt (letzteres wurde im Frühjahr im MACRO ausgestellt). Außerdem kooperiert er mit verschiedenen Balletgruppen wie mit dem Tanzhaus in Düsseldorf. 1988 hat er mit der Komponistin Laura Bianchini, die auch diese Aufführungen koordinierte, das Musikentwicklungszentrum, CRM gegründet. Er ist z.Zt. der künstlerische Leiter der Abteilung für Musik und neue Technologien der Santa Cecilia.
Die Tänzer Enrica Felici, Francesca Schipani, Valerio De Vita, Yari Molinari, Emiliano Perazzini und wie gesagt der Chef der Gruppe, Ricky Bonavita waren sehr überzeugend, mit Kraft, leidenschaftlichem Können und kalter Anmut sind sie dieser ansprechenden Choreografie gerecht geworden. Ricky Bonavita hat mit den Großen der Balletwelt wie Martha Graham getanzt und gearbeitet und 1988 angefangen, sich auch mit Choreografie zu befassen bis er dann 1994 mit Theodor Rawyler seine eigene Gruppe Excursus gründete.
Wir sind schon sehr auf die heutige Produktion (eine Hommage an Jiri Kylián) gespannt, die ebenfalls wieder aus Tanz und neuen Kompositionen des CRM bestehen soll. Mehr wurde aber nicht verraten. Bedauernswert allerdings, dass nur ca 90 Personen diesen kleinen highlights der zeitgenössischen Musikszene folgen können, aber mehr Zuhörer passen nicht in das Teatro Ruskaja, das seinen Sitz in der Nationalen Tanzakademie auf dem Aventin hat.
Ein bemerkenswerter Abend!
Christa Blenk
http://www.crm-music.it/