13 juillet 2014 0 Commentaire

Nederlands Dans Theater

thermepicknick 
Große Therme in der Villa Adriana, Tivoli (Foto: Christa Blenk)

Gastspiel des NDT 2 beim Festival Villa Adriana

Es ist 20.00 Uhr, die Besucher sitzen auf den Ruinen (was man eigentlich gar nicht darf) und essen ein mitgebrachtes Tramezzino oder sitzen locker und gelöst, trotzdem ab und zu einen Blick gen Himmel werfend,  zwischen den Ruinen an kleinen Tischen beim Spritz. Vor 20 Minuten hat ein blauer Himmel den Wolkenbruch abgelöst, der uns die 30 Minutenfahrt von Rom nach Tivoli erschwert hat und dafür verantwortlich ist, dass wir nun einen riesigen Regenschirm mit uns herumtragen. Der Abend ist gerettet und bis zu Beginn der Vorstellung um 21.00 Uhr laut Programm (21.30 Uhr reell) werden auch die Sitze wieder trocken sein und wir können unbeschwert dem dritten Tanz-Highlight – das auch das heimliche  Highlight des Festivals der Villa Adriana ist – entgegen sehen. Nach Martha Graham am 25.6. und Carolyn Carlson am 3.7. gastierte am 10. und 11. Juli  das Nederlands Dans Theater 2  (NDT 2) in der Großen Therme der Sommerresidenz von Kaiser Hadrian.

Vier unzusammenhängende und ganz unterschiedliche Choreografien hat das niederländische Ensemble nach Rom mitgebracht und damit die unglaubliche Spannweite ihres Repertoires unter Beweis gestellt. Die Bühnenbildutensilien reduzierten sich auf eine größere Anzahl von table-dance Lichtpfosten, einen roten Teppich, auf 16 weiße quadratische Podeste und einen kreativen Einsatz von Licht.

I new then ist der Titel des ersten Stückes, das der Schwede Johan Inger choreografiert hat. Begleitet von Van Morrisons Country-Musik (Madame George, The way young lovers do, I’ll be your lover too und crazy love) sind die Tänzer auf der Suche nach ihrer Identität und ihrem Weg, der irgendwo im Wilden Westen beginnt. Prüde, gewagt und sich vortastend finden sich Paare, um aus der vorherrschenden Langeweile auszubrechen ohne sich zu verraten. Manchmal wird auch gesprochen und das, was sich hinter den Lichtpfosten abspielt, kritisiert. Die Tänzer tragen alle Straßenkleidung und sind keiner gewissen Schicht zuzuordnen.

NDT2Kurzer Umbau bis zum Vier-Minuten-Stück  Shutters Shut (2003), auf das wir schon sehr gespannt waren. Die Kunst- und Literaturikone Gertrude Stein hat dieses surrealistisch-kubistische Gedicht If I told him: a completed portrait of Picasso 1923 geschrieben und damit die Poesie neu erfunden. Sol León und Paul Lightfoot haben die Choreografie hierzu entworfen. Ein Pas de deux im Dominoanzug (ein Tänzer in weiß/schwarz, der andere in schwarz/weiß). Der Originalton von Gertrude Stein begleitet die Bewegungen oder umgekehrt? Und wer dem englischen Text nicht folgen konnte, hat ihn von der Gestik der beiden fantastischen Solisten ablesen können. Mit elf Jahren ist das Stück fast schon ein Klassiker, der immer aktuell bleiben wird – so wie #Gertrude Steins Gedicht.

Anschließend wird ein quadratischer, ca. 50 qm großer roter Teppich, hereingerollt. Er ist die wichtigste Requisite für  Subject to change. Wieder eine Choreografie von Sol León und Paul Lightfoot (was für ein perfekter Name für einen Choreografen!).  Zu Schuberts  Der Tod und das Mädchen in der Orchesterversion von Gustav Mahler (1894), rollen vier schwarz gekleidete geschlechterlose Personen vor einem fünften Tänzer den roten Teppich aus, springen drüber und lassen ihn liegen. Ein Mädchen, das ein weißes Toten-Spitzenhemd trägt, tanzt sich über den Teppich, wird mit ihm gedreht, der Mann kommt dazu, sie tanzen gemeinsam, sie flieht, sie kommt wieder. Voller Emotionen und Eleganz diese beiden, immer eingerahmt von den vier schwarzen Personen. Es ist ein geniales Werk und besser könnten Musik, Choreografie und Optik nicht zusammen arbeiten. 2003 hat dieses Stück den Zwaan Award für die beste Produktion gewonnen.

monduebervillaadriana Während der kurzen Pause können wir einem zweiten Spektakel folgen. Als  Effekt des Fast-Vollmondes und der Beleuchtung rund um die Bühne beobachten wir auf der Mauer hinter der offenen Bühne wie riesige gespensterhafte Schatten tragen etwas von links nach rechts oder umgekehrt tragen. Später lernen wird, dass es Kakteen in unterschiedlichen Größen und Formen waren, die zum Einsatz kamen.   Alexander Ekman hat hier die Choreografie, das Bühnenbild und die Kostüme für Cacti entwickelt. Hier kommen die vorher erwähnten weißen ca. 2 qm großen Podeste und alle 16 Tänzer zum Einsatz. Jeder steht in einer anderen Pose auf seinem Podest. Der erste Eindruck versetzt uns direkt in die Centrale Montemartini, ein Skulpturenmuseum in einem alten E-Werk in Rom. Cacti ist viel mehr als nur Tanz. Es ist auch Theater, Slapstick und Kino (die letzte Sequenz hat mich an die fotografischen Bewegungsabläufe von  Eadweard Muybridge erinnert). Irgendwann werden die Legobausteine zu einer Art Bauhaus- oder Stummfilm-Konstruktion zusammengestellt.  Vor diesem Bau nun fängt ein Pärchen an, die schwierigen Bewegungen und Posen für Cacti nochmals zu proben. Sie animieren sich gegenseitig und analysieren  Schwachstellen, machen sich aber auch ein wenig lustig über sich selber und das Stück.  Ein geniales Zwischenspiel, bis dann wieder alle tanzen und die Kakteen auf die Bühne bringen, die in der Folge in den Ablauf mit einbezogen werden. Ekman will uns wohl davon überzeugen, dass Tanz auf keinen Fall trocken und stachelig sein muss. 2010 wurde er für den Zwaan Award nominiert. Die Musik zu dieser Kreation ist von Haydn, Beethoven und wieder Schubert. Mit ihrer hautfarbenen Oberkörperbekleidung wirken sie auf den ersten Blick nackt und wie kleine flinke Aliens – befremdend und faszinierend-betörend. Vollkommen sind sie, unverwechselbar-anmutig und natürlich-perfekt.

taenzerndt1 Ob die Tänzer absichtlich anonym blieben oder das Programm nur schlampig gemacht war, habe ich nicht herausgefunden. Den Solisten wurde jedenfalls kein Name zugeordnet; nicht mal beim Pas de Deux von Shutters Shut. Ist auch nicht unbedingt tragisch, weil sie alle genial waren und eine große Tanzzukunft vor sich haben werden. Zur Zeit besteht aus Ensemble jedenfalls  aus :  David Ledger, Dévi Selly, Clara Villalba, Olivier Coeffard,  Chuck Jones, Fernando Troya, Spencer Dickhaus, Clement Haenen, Imre van Opstal, Casia Vengoechea, Richel Wieles, Xanthe van Opstal, Violet Broersma, Daan van der Laar, Luke Cinque-White, Gregory Lau, Luna Mertens, Yukino Takaura, Katarina van den Wouwer.

Standig ovations und nicht enden wollender rasender Applaus für diese einzigartigen und außergewöhnlichen Tänzer, die federleicht, elegant und mit spielerischer, stressfreier und hochkonzentrierter Perfektion über die Bühne huschten. Permanent und immer wieder aufs Neue überrascht folgten wir ihnen, wie sie sich faltend, rollend, auf das Podest trommelnd, von einer Ecke in die andere schmissen.

Das Nederlands Dans Theater wurde schon 1959 gegründet, u.a. von Hans van Manen, der lange Jahre dessen Leiter war bis 1975 Jiri Kilián für 20 Jahre die Regie übernahm. Das NDT 2 entstand 1978 als Sprungbrett auf das Welt-Tanzparkett für besonders junge und begabte Tänzer und Hochschulabsolventen (die jüngsten sind 17 Jahre, die ältesten 22).  John Lightfoot und Sol Léon haben 2001 die künstlerische Leitung des NDT 2 übernommen.

Das Nederlands Dans Theater wird übrigens die Internationalen Tanzwochen in Neuss 2014/15 eröffnen.

Christa Blenk

 

 

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