Paola Romoli Venturi – Portrait
Fotomontage von Paola Romoli Venturi
#Paola Romoli Venturi – Pacific Trash Vortex
Im Frühjahr 2013 wurde vor einer südspanischen Küste ein toter Pottwal aufgefunden. In seinem Magen hat man 59 verschiedene Plastikarten, Blumentöpfe, Kleiderbügel, eine 30 Quadratmeter große Plastikfolie etc. gefunden. Insgesamt betrug sein Mageninhalt 17 Kilo Kunststoff und Müll. Zuerst erlitt der Wal einen Magenriss und dann ist er verhungert.
Mittel im Pazifik entsteht seit ein paar Jahrzehnten ein weiterer „Kontinent“ aus Plastik. Er ist ungefähr so groß wie Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien zusammen. 2009 wurde er von einem französischen Forscher eher durch Zufall entdeckt. Meeresströmungen bilden einen gigantischen Wirben und halten den Müllplaneten fest. Millionen Tonnen zum Teil sogar verseuchter Müll treiben in den großen Strudeln der Weltmeere und schädigen vor allem die Säugetiere wie Wale und Delphine, denn diese nehmen die Zivilisationsgaben anstatt Futter auf und verenden meist elendig. An manchen Stellen beträgt die Müllschicht bis zu 30 m Müll übereinander. Kleinere Versionen von Müllbergen gibt es auch im Atlantik. So kommt einiges von dem Plastik wieder in Form von Nahrung zu uns zurück!
Great Pacific Garbage Patch (Großer Pazifikmüllfleck) heißt dieses Phänomen im Nordpazifik und der Chemiker Tony Andrady vom US Research Triangel Institute bemerkte schon vor Jahren dass jedes Stück Plastik, was in den letzten 50 Jahren in den Ozeanen verschwand dort immer noch irgendwo rumschwimmt: “Every little piece of plastic manufactured in the past 50 years that made it into the ocean is still out there somewhere. » “
Paola Romoli Venturi hat diese angsteinflössenden Plastikplanetenmonster zu einem zentralen Thema ihres neuesten künstlerischen Ausdruckes gemacht. Pacific Trash Vortex heißt ihr Projekt, an dem sie seit über einem Jahr arbeitet. Romoli klagt an und drückt damit ihre eigene Instabilität und Angst über das Fortbestehen der Welt und der Meere aus.
Die ehemalige Kostümbildnerin, die Stoffe und Garne liebt und die früher Fernsehstars in Kleider nähte, verstaut seit über einem Jahr das sich bei ihr zuhause angesammelte Plastik und steckt es in die von ihr geschneiderten Walmägen aus tüllartigem Tarlatan. Die letzte Präsentation fand im Biopark in Rom statt. Übergroße Walmägen installiert sie virtuell an wichtigen Plätzen auf der ganzen Welt.
Ihre anklagenden Arbeiten laden zum Leiden ein und rufen Alpträume hervor. Sie sind delikat und vulnerabel wie eine Haut und dabei widerstandsfähig und transparent, wirken fast schwerelos und trotzdem dynamisch. Der dünne, durchsichtige, sehr feste und saugfähige Tarlatan-Stoff (eine Mischung aus Seide, Mohair und Baumwolle) eignet sich dafür bestens. Der Betrachter kann die Labels auf den Flaschen lesen und nichts bleibt verborgen. Ihre ihre plastik-gefüllten Walfischmägen sind weiß und makellos, wie durch salziges Meerwasser reingewaschen liegen sie auf den ersten Blick fast freundlich unterm Eiffelturm oder am Canale Grande. Erst beim näheren Hinsehen verstehen wir den Inhalt (und die Botschaft). Ihre ausstellungsbegleitenden Vorträge tun dann den Rest.
Paola Romoli Venturi ist in den letzten Jahren immer mehr zur Aktivistin geworden. 2010 präsentierte sie in der Pasinger Fabrik in München ihr Projekt Das Urteil. Mit Installationen, Bildern und Videos thematisierte sie einen spektakulären Mafia-Prozess, der durch das 2009 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit dem Geschwister-Scholl Preis ausgezeichnete Buch „Gomorra“ von Roberto Saviano ausgelöst wurde.
Ein anderes immer wiederkehrendes Projekt sind ihre ebenfalls aus Tarlatan gefertigten « Instant Art » Installationen in Suspension. In Amelia hat sie dem Germanicus (das ist eine wichtige und bekannte römische Skulptur) eine hoffnungslose junge schwarze Witwe zur Seite gehängt. Inspiriert zu dieser Arbeit wurde sie 2008 durch die Lektüre eines Artikels über eine junge Frau, die im Krieg weit weg von Italien ihren Mann verloren hat. Der Germaninus, sagt sie, war einer der « Witwenmacher » in der italienischen Geschichte.
Sie hat uns zu einem ausgiebigen Aperitif in ihr Atelier eingeladen – ein Abendessen kann sie nicht organisieren, da sich auf dem großen Tisch ehemalige und zukünftige Projekte tummeln. Aus allen Ecken kommen die Kunstwerke auf einen zu: ein mit Stoff überzogener Stuhl der wie ein McIntosh aus einer anderen Zeit aussieht, ein blauer durchsichtiger Globus (die anderen aus der Serie sind schön in Kartons verpackt in einem Depot), Teil einer Theaterdekoration bei der noch ein aufgeklebter Stöckelschuh zu sehen ist, Zeichnungen und Projekte überall. Nur die schönen Fotos an den Wänden sind von ihrem Mann Marco.
Ich musste bei Betrachtung dieser Arbeiten an eine Theateraufführung von 2012 hier in Rom denken. Lemi Ponifasio nannte seine Performance „Bird with skymirrors“ . Ponifasio kam auf die Idee, als er im Jahre 2010 auf dem Tarawa Atoll eine besonders seltene Vogelart beobachtete, die so etwas ähnliches wir flüssige Spiegel in ihren Schnäbeln transportierten. In Wirklichkeit handelte es sich aber um Abfälle von Videokassetten, die die Vögel aus der größten Abfallstraße der Welt, dem Pazifischen Ozean gefischt haben. Die Bänder wickelten sich zum Teil um ihren Hals und die Vögel verendeten.
Der Mensch ist noch nie behutsam mit der Natur und mit seinem Umfeld umgegangen, er betrachtet sie als etwas Gegebenes. Sie ist einfach für uns da – ohne Gegenpreis. Paul Claudel, der französische Diplomat und Schriftsteller und Bruder von Camille Claudel hat schon vor über 100 Jahren gesagt, dass wir unsere Welt, bevor wir sie verändern wollen, erstmals nicht zugrunde richten sollen.
Wie also dieser 7. (Plastikabfall)Kontinent weggeschaft oder verschwinden soll, weiß im Moment niemand. Es wäre schon ein Erfolg, wenn er wenigstens nicht größer werden würde.
Christa Blenk