Märchen sind grausam
Street Art (Foto: Christa Blenk)
Märchen sind grausam!
David Lang hat das Märchen von Hans Christian Andersen vertont:
The little Match Girl Passion von David Lang – Bericht auf KULTURA EXTRA
Wer sagt, dass zeitgenössische Musik keine Emotionen auslösen könne, sollte sich dieses ansprechende und ingeniöse Stück ansehen/anhören. David Lang (*1957) hat das Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Hans Christian Andersen vertont und selbst den Großteil des vorhandenen Textes umgeschrieben.
Daraus entstand ein ca 40 Minuten Opus für Vokalquartett und Percussions-Instrumente. Gestern abend wurde es im Sinopolis-Saal des Auditoriums Parco della Musica aufgeführt.
Come, daughter, help me daughter – so beginnt die erste Arie für Sopran. Zart und zerbrechlich erscheint das kleine Mädchen, das im Verlauf der Geschichte versucht, ihre Zündhölzer zu verkaufen, um Geld für Essen nach Hause zu bringen. Da aber kein mitleidiger Passant an diesem letzten Tag im Jahr ihr etwas abkauft und die Kälte ihre barfüssigen Beine hochkriecht, fängt sie an, die Zündhölzer nach und nach anzuzünden, um für Sekunden die Illusion einer heilen warmen und leuchtenden Welt zu erleben. Lights were shining from every window, and there was a savory smell of roast goose, for it was Newyear’s eve – yes she remembered that ….Dann erlischt das Streichholz. Sie überredet sich und zündet hoffnungsvoll und schnell ein weiteres an Ah, perhaps a burning match might be some good ….. immer wieder.
Street Art (Foto: Christa Blenk)
Die Arie Have mercy, God – my God have mercy hätte Bach nicht schöner, packender und einfühlsamer komponieren können. Nach der neunten Stunde zündet sie an der Hausmauer ein weiteres Streichholz an (wir hören es) und erkennt ihre alte Großmutter. Mir ihr steigt sie im Traum selig gen Himmel. Die Arie When its time for me to go ist gesungenes Bibbern. Wir ziehen unseren Schal enger und frieren auch. Märchen sind grausam, denke ich nochmals.
Am nächsten Morgen liegt sie da mit einem Lächeln auf ihrem bleichen Gesicht. In der einen Hand die abgebrannten Zündhölzer, in der anderen die noch nicht Verbrauchten.
Mit der Arie We sit and cry – Rest soft, daughter, rest soft geht es zu Ende und sie ist wohl erlöst.
Der Dirigent Tonino Battista lässt uns lange warten bis er den Applaus frei gibt, plötzlich bricht er aber dann los. Wir schlucken unseren Kloß im Hals hinunter und fühlen uns vielleicht doch ein wenig manipuliert.
David Lang ist ein religiöser Komponist – das war Bach auch. Die Matthäus-Passion war seine Inspiration dafür – das sagt er auch in seinen „Composer Notes“. Der Text ist von ihm nach Hans Christian Andersen, H.P. Pauli und Picander. Lang erzählt eine Kindergeschichte zur Weihnachtszeit die zwischen Gefahr und Moral, Leid und Hoffnung und Schrecken und Schönheit gleichberechtigt hin- und herpendelt. Die Kälte wird durch die schönen Träume verdrängt. Ohne Pathos, minimal und melodiös und mit klaren und eindringlichen Wiederholungen wechseln und ergänzen sich die Stimmen. Sehr subtile rhythmische und melodische Verschiebungen. Archaisch und modern, emotional, schön und bedrückend die Musik zu dieser ergreifend traurigen Parabel, die dann doch die positive Seite eines Glaubens verteidigt.
Für einen Moment fühlt man diese Panik und das Mitleid, aber auch den Reiz der uns als Kind überkam, wenn die Mutter auf unser Drängeln diese hartherzigen, grausamen und traurigen Märchen vorlas.
Der Aufbau dieser Minioper oder eher dieses Oratoriums ist ähnlich der Matthäus-Passion. Die repetitiven Arien werden von langen aber nicht langweiligen Rezitativen abgelöst, in denen die Geschichte – in 15 Abschnitten – erzählt wird.
Die hervorragenden Solisten waren Maria Chiara Chizzoni, Patrizia Polia, Carlo Putelli, Giuliano Mazzini. Auch wenn es sich oberflächlich leicht anhörte, mussten die miteinander koordinierten Solisten sehr viel leisten, um dieses „Mühelose“ zustande zu bringen.
Der Amerikaner David Lang, der u.a. auch Schüler von Hans Werner Henze war, gewann für dieses Stück 2008 den Pulitzer Musikpreis. Außerdem hat er einen Teil der Musik für den Oskar-Preisträger „La Grande Bellezza“ geschrieben.
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Den zweiten Teil des Konzertes bestritten Werke von Arvo Pärt. De Profundis für Männerchor, Orgel und Percussion. Das haben sie nicht genug geübt und der Chor hatte echte Probleme, dem etwas schwachen Organisten zu folgen, da konnte auch der ausgezeichnete Tonino Battista nichts mehr retten.
Beim großen Miserere-Finale lieft der Chor PMCE – Parco della Musica Contemporanea Ensemble unter Leitung von Ciro Visco dann aber – fast – wieder zur Hochform auf.
Christa Blenk