Passa, Pythagoras und Santoboni
Il Ri-tratto di Antonio, 2008 (240 x 430 cm)
Passa, Pythagoras und Santoboni
Der italienische Künstler und Kunstanalytiker Antonio Passa befasst sich seit über 40 Jahren mit dem Zusammenspiel von Malerei und Mathematik. Sein Auftragswerk « Il Ri-tratto di Antonio » wurde sogar in Musik umgesetzt.
Der Titel ist ein Wortspiel und bedeutet einmal Selbstportrait (ritratto) aber auch die Wörter Gerade-Linie sowie Abhandlung sind darin versteckt.
Der erste Schritt war das Ausmessen des zur Verfügung stehenden Raumes in der Galerie Hybrida. Diese qm-Zahl hat er durch 60 geteilt und in der Folge seine Studie mit den vier Farben Gelb, Rot, Blau, Grün (in verschiedenen Farbnuancen) realisiert. Die Quadrate sind auf den ersten Blick ohne bestimmte Ordnung angeordnet.
Il Ri-Tratto di Antonio misst 240 x 430 cm und besteht aus 60 Fast-Quadraten (40 x 43 cm). 10 Farbflächen sind horizontal aneinander gereiht; sechs Reihen liegen übereinander. Die Komposition beginnt links oben und endet rechts unten. Die Ursprungsfarbe auf jedem Quadrat ist ein Rosa-Ton. Die Farbe der jeweiligen Fläche ergibt sich durch das Vermischen mit den Grundfarben Gelb, Rot, Blau, Grün. Sie ist – im Uhrzeigersinn – auf jedem Einzelbild als Balken vermerkt und wächst jeweils um einen cm. Das erste Bild heißt „Giallo A 1“, dann « Rosso A 2« , « Blue A 3 » und « Verde A 4 » etc. Ab Bild Nr 41 werden die Farbbalken aus Platzgründen diagonal gesetzt. Bild Nr. 60 ist ein rotes Carré im rosa Carré – sein Ursprungsrosa! Die 60 Bilder haben alle eine verwandtschaftliche DNA . Er hat seine Farb-Familie auf die Leinwand geholt!
Im Laufe der vierwöchigen Ausstellung mutierte ri-tratto dann zu neuen Kreationen: Einmal hat er die Farbquadrate chromatisch angeordnet, dann nach Formen und zum Schluss neue Gemälde gebildet, in dem er z.B. alle Diagonalen entfernte oder alles was Rot ist weg ließ.
Vieles geht uns durch den Kopf: Goethes Farbenlehre, die Farblichtmusik von Mussorskys Bilder einer Ausstellung, die Experimente von Gerhard Richter und Boetti, Yves Klein und seine Symphonie monotone, die amerikanischen Minimalisten Sol Lewitt und Frank Stella und computergesteuerte DNA Berechnungen die zu Noten werden. Der Verfasser von GEB, Douglas R. Hofstadter hätte seine wahre Freude an dieser Studie!
1939 ist Antonio Passa am Tyrrhenischen Meer geboren. In Neapel hat er Kunst studiert und in Bologna seine Doktorarbeit über « Poesia Visiva » fertig gestellt. 1970 kam er nach Rom und setzt sich seitdem mit dem konzeptuellen Dialog in der Kunst auseinander, unterlegt hat er dieses Konzept 1973 mit der Serie Quadro Quadrato.1986 war der Teilnehmer bei der Biennale di Venezia; zweimal war er bei der Quadrienale in Rom vertreten.
Der ehemalige Direktor der Akademie der Schönen Künste in Rom lebt heute eher zurückgezogen. Wir haben ihn besucht und uns die faszinierende Geschichte seiner Kunstphilosophie erzählen lassen. Kunst existiert nicht, sagt er, sie ist immer der Spiegel unseres derzeitigen Daseins. Bei unserem Ankommen war er gerade dabei, eine auf einen runden Holzrahmen gespannte Leinwand zum zehnten Mal zu überpinseln – das wird eine Hommage an Pythagoras, informierte er uns und schickte hinterher, dass wir doch die Mäntel anlassen sollen, da wir zuerst einen Caffè in der Bar trinken würden. Dort erzählt er dann von Pythagoras und dass dieser vorsokratische Philosoph, Mathematiker und Miterfinder der mathematischen Analyse der Musik einen Großteil seines Lebens in Süditalien verbracht hätte.
Rahmen – Leinwand – Farbe
Obwohl das – für ihr – die Zutaten für ein Bild sind, geht es erstmal nur um Zirkel, Lineal, Gerade, Winkel, Axiom, Dreieck, Quadrat, Kegel etc. – sind wir wirklich bei einem Künstler oder haben wir uns in der Tür geirrt und einen Mathematiker vor uns? Ein Blick auf die uns umgebenden Bilder, Farbtöpfe und Pinsel strafen unseren Blitzgedanken allerdings Lüge. Farben gibt es für ihn nur vier – allerdings in unzähligen Schattierungen, aber davon spricht er erst beim zweiten Ansatz. Wir lernen auch, dass man, um einen runden Rahmen zu bespannen, die Leinwand in 16 Teile zerschneiden muss, sonst klafft sie immer irgendwo auseinander. Seine Bilder sind von beiden Seiten zu betrachten und perfekt finalisiert (nichts wird auf der Rückseite versteckt!). Er stellt sie am liebsten als Objekt/Skulptur aus.
Mathematisch, rationell und analytisch konfrontiert sich der leidenschaftliche Zigarrenraucher mit den aktuellen Kunst-Richtungen. Heißblütig verteidigt er die « zurückgelassenen » zeitgenössischen italienischen Künstler. In Rom werden sie seiner Meinung nach zu wenig wahrgenommen – er hat recht!
Antonio Passa ist ein strenger Konversationspartner, der nichts durchgehen lässt. Am Ende einer Unterhaltung mit ihm, ist man dafür immer ein wenig schlauer und 30 Minuten werden im Flug zu zwei Stunden!
Der kommerzielle Erfolg ist sekundär für ihn. Wichtig und fundamental ist das Konzept und dessen perfekteste Realisierung. Er produziert wenig. Zwei Jahre hat er an seinem Ri-tratto gearbeitet. Für uns hat er sein „Familienfoto“ aufgebaut, anschließend mussten die 60 Farbflächen auch gleich wieder in ihre Kartons zurück. Er braucht den Platz jetzt für seine Pythagoras-hommage, mit der er sich schon seit fast zwei Jahren beschäftigt. Und natürlich sind wieder geometrische Formen seine Protagonisten: das Dreieck und ein Pentagramm. Wisst Ihr wie schwierig ein Pentagramm zu zeichnen ist? Er musste dafür sogar einen Mathematiker zu Rate ziehen.
2009 wurde „Il Ri-tratto di Antonio“ in der Galleria Hybrida Contemporanea in Rom zum ersten Mal dem Publikum vorgestellt. Das Nabla Ensemble untermalte musikalisch die Vernissage mit dem von Ricardo Santoboni eigens dafür komponierten 15-Minuten Stück (spettacolo multimediale-sinestetico).
Beeindruckt verlassen wir ihn.
Christa Blenk
Zusatz: Goethe während seiner Italienreise (1786-88) machte ähnliche Beobachtungen und begann selber, Aquarelle zu malen. Ein Blick durch ein Prisma entfachte sein Interesse dann definitif an der Farbenlehre. Seine Annäherung war aber romantischer als die analytisch-mathematische von Passa!
1810 veröffentlichte er « Beiträge zur Chromatik ».
« Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalisch Apparat, den es geben kann, und das ist eben das größte Unheil der neueren Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Menschen abgesondert hat und bloß in dem, was künstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch beschränken und beweisen will. » (Maximen und Reflexionen, in: Karl Otto Conrady: Goethe – Leben und Werk, Band 2, S. 265)
Ausgezeichneter Artikel ueber Antonio Passas Ausstellung « Il Re-tratto di Antonio ». Toll, dass Du ihn sogar persoenlich getroffen hast.
Irmi Feldman