Rodin – der Marmor, das Leben
Die war es, wo der heißbegehrte Mund / von solchem Liebenden geküsst wurde,/ da küsste dieser hier, der nie von mir / getrennt sein wird, erbebend mir den Mund….
(Dante, Göttliche Komödie, Hölle, 5. Vers – Dante trifft hier auf zwei Seelen, die miteinander durch die Luft schweben. Vergil erlaubt ihm, sie heranzurufen. Es sind Francesca da Rimini und ihr Geliebter Paolo Malatesta).
Seit Ende Februar ist es endlich so weit. Rodins lang erwartete Ausstellung ist die nächsten Monate in den römischen Diokletian-Thermen zu Gast und die 60 Marmorskulpturen geben die Geheimnisse über den ästhetischen und künstlerischen Fortgang dieses französischen Bildhauers preis und erzählen von seinem Kampf, den er zwischen 1880 und 1917 mit sich und den Elementen austrug, was in der Folge zur Revolution der Bildhauerei führte.
Der Kuss, dieses weltbekannte, übergroße und relativ konventionelle Skulpturenpaar ist das Hauptexponat der Show (obwohl es meiner Meinung nach nicht zu seinen interessantesten Werken gehört) und zieht die Besucher gleich am Eingang in seinen Bann. Als Ergebnis seiner Konfrontation mit Dantes Göttlicher Komödie begann Rodin 1886 mit der Ausarbeitung seines „Höllentors“. Der Kuss (wie auch Der Denker) sollten ursprünglich Teile davon sein. Rodin änderte aber später seine Meinung und präsentierte das Skulpturenpaar als individuelles Werk. Es fand so großen Anklang beim Pariser Publikum, dass Rodin es in Bronze und Marmor und in verschiedenen Größen anfertigte (bzw. anfertigen ließ).
Das Fehlen von Zeichnungen und Bronzen in dieser Ausstellung von Rodins Marmorarbeiten mit dem schönen Titel „der Marmor, das Leben“, zeigt den französischen Pionier in einem ganz anderen Licht. Jedes kleine Stück Marmor lebt und vibriert und die eingeschlossenen Personen schreien förmlich, endlich von der Nabelschnur befreit zu werden. Er holt sie, soweit möglich und trotz größter Resistenz, aus dem Steingefängnis heraus, und deklariert dabei das passiv Verbleibende zum Teil des Kunstwerkes. Nicht-Gebrauchtes und Überflüssiges wird einfach weggemeisselt. Er setzt seine Werkzeuge von allen Seiten ein und je nach dem wo man steht, sieht man eine unterschiedliche Lebensphase seines Modells. Faszinierende Erfahrung, bei diesem „work in progress“ dabei zu sein. Die Sklaven von Michelangelo – die dieser gewaltige Renaissance-Bildhauer aus dem Carrarablock ausbrechen ließ - haben ihn sicher bestärkt, diesen Weg des non-finito zu beschreiten. Es war ein mutiger und revolutionärer, aber zugleich auch der einfachere Weg!
Hände verwandeln sich in Arm- und Beingewinde, in Personenlandschaften oder allegorische Paare und Köpfe bersten aus den Felsen. Rodins Modelle mussten bisweilen ausgesprochen manieristische und fast unakzeptable Posen einnehmen – zumuten konnte er das nur seinen Musen, Geliebten und eventuell noch Tänzerinnen! Er hat seine verquere Phantasie einfach laufen lassen, sie nie gezügelt oder versucht sie zu kontrollieren.
Danaide, die Schwester des Ikakus, Victor Hugo, Lady Sackville (1914-1916) sind Beispiele seines Umgangs mit dieser persönlichen Unabhängigkeit. Lady Sackville z.B. war nie zufrieden mit ihrem Aussehen und saß ihm immer wieder Modell. Die damals 50jährige sieht beim Betrachten von vorne wie ein junges Mädchen aus, geht man aber um die Skulptur herum und am Schal vorbei, ist sie plötzlich zur alten Frau geworden. Dann die Hand Gottes, die zum schmorenden Inferno wird. Und so geht das weiter – Reihe und Reihe bis man am Ende zu den Portraits kommt und auf einen faszinierenden Vicotr Hugo stösst.
François-Auguste-René Rodin (1840-1917), dieser Trendsetter und Vorkämpfer der Moderne, leitete ein neues Zeitalter der Bilderhauerei ein. Von 1875-76 ging er auf Studienreise nach Italien, um das „Geheimnis Michelangelos zu entschlüsseln“. Er erschuf und etablierte einen neuen Schönheitsbegriff und setzte andere Maßstäbe auf dem Gebiet der Skulptur im ständigen Kampf gegen den Akademismus. Wobei die Franzosen mit ihm sehr viel gnädiger waren, als mit den meisten Malern oder Musikern, die auf ihrem Gebiet das 20. Jahrhundert neu gestalten wollten. Alles Idealisierende lehnte er kategorisch ab – er war ein expressionistischer Brückenbauer von der Antike über Donatello und Michelangelo ins beginnende 20. Jahrhundert. Das Non-finito ist ein typisches Stilmerkmal seiner Arbeit.
Diokletian Thermen mit Santa Maria degli Angeli e Martiri
Der erste Revolutionär der Bildhauer, nämlich Michelangelo, war für Rodins Ausbildung enorm wichtig und ist von seinem Schaffensprozess nicht wegzudenken. Rodins Arbeiten zeugen immer wieder von den Studien in der Sixtinischen Kapelle, den Sklaven oder vom überwältigenden Moses in der Kirche San Pietro in Vincoli (meine Lieblingsskulptur). Allerdings brauchte Rodin viel Selbstvertrauen und Mut einfach an einem bestimmten Punkt den Meißel fallen zu lassen (vielleicht wusste er aber auch einfach manchmal nicht, wie es weitergehen könnte – und hat aus der Not eine Tugend gemacht! Who knows?
Michelangelo hat vor ca 450 Jahren auch seine Spuren in den Diokletian Thermen hinterlassen. Im Herz dieser antiken „Thermal-Badeanstalt“ ließ er die Basilica di Santa Maria degli Angeli e dei Martiri Cristiani errichten. Erbaut hat sie schon Kaiser Diokletian zwischen 284-305 (mit 380 x 360 m sind sie übrigens um einiges größer als die Caracalla Thermen, die 90 Jahre älter sind).
Eine wunderbare Ausstellung an diesem magischen Ort auf jeden Fall! Vor Rom war sie mit großen Erfolg in Mailand zu sehen. Kuratiert von Aline Magnien aus dem Rodin Museon in Paris und Flario Arensi. Bis 25. Mai 2014 ist sie zu sehen.
Mit den bezaubernden Modiglianis der Netter Sammlung, den Giacomettis in den Galleria Borghese und den Meisterwerken aus dem Musée d’Orsay ist ein kleiner Teil der Paris-Attraktionen nach Rom gekommen – für ein paar Wochen!
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Christa Blenk