Simon Hantaï in der Villa Medici in Rom
Die zweite Ausstellungsrunde in Rom (die meistens Mitte Februar beginnt, wenn der große Wechsel stattfindet) hat gestern abend mit einer Vernissage in der Villa Medici begonnen. Simon Hantaï ist bis Ende Mai Gast in der französischen Akademie und hat damit den Fotografen Patrick Faigenbaum abgelöst. Dazu werden sich dann in Laufe der nächsten zwei Wochen Arbeiten von Frida Kahlo in den Scuderien und Meisterwerke aus dem Musée d’Orsay im Complesso del Vittoriano gesellen.
Der ungarisch-französische Maler Simon Hantaï (1922-2008) gehörte der französischen Avantgarde-Bewegung „Support-Surface“ und war einer der wichtigsten Vertreter dieses „mouvement“, das ab Ende der 50er Jahre Frankreich aus dem Märchenschlaf der Malerei wieder herausholen sollte. Die Show spielte sich längst in den USA ab und Frankreichs (besser gesagt Paris’) Kunstszene war ein wenig « ranzig » geworden. Zwölf Künstler – allen voran Claude Viallat – gründeten also diese Bewegung, inspiriert von den amerikanischen Feldmalern und der Pop Art. Ihre Maxime war, die Malerei auf die Materie zu reduzieren oder der Materie den gleichen Stellenwert beizumessen wie dem Motiv und so einen gleichberechtigten Dialog herzustellen. Herkömmliche Leinwände kamen kaum mehr zum Einsatz, es waren gefundene oder geschenkte Bettlaken, Tischdecken, Jutesäcke, Altkleider, Vorhänge, Sonnenschirme, Stoffe – gerne auch sichtlich gebraucht und später sogar farbig – auf denen man sich ausdrückte. Auswählen – Bearbeiten – Bemalen – Zerschneiden – Aufhängen. Hantai fügte dann das „Falten“ hinzu.Der Ungar kam nach einem Kunststudium in Budapest 1949 nach einem kurzen Aufenthalt in Italien nach Paris und ließ sich dort nieder.
Unter den Gründungsmitgliedern dieser Support-Surface-Bewegung war Hantai allerdings nicht. Er fühlte sich anfangs zum Surrealismus hingezogen und wurde 1952 in Bretons heiligen Zirkel aufgenommen. Nach einem Streit mit Max Ernst verließ er jedoch die Gruppe, entdeckte Jackson Pollock und den abstrakten Expressionismus. Hantaïs Werke wirken lichter und leichter, transparent-schwebend; in seinen Arbeiten kann man – wenn man sich bemüht – die OpArt (Vasarely), die nach dem Zeiten Weltkrieg in Ungarn eine Weltbedeutung erreichte, erkennen.
1959 hat er an der Documenta II teilgenommen. 1982 vertrat er Frankreich bei der Biennale di Venezia. Das Centre Pompidou widmete ihm zweimal eine Retrospektive (1976 und 2013 – 5 Jahre nach seinem Tod).
(In Italien entstand später die Arte Povera Bewegung. Die Protagonisten dieser Kunstart verwendeten für ihre Installationen allerdings hauptsächlich Glassplitter, Metall, Holz oder Erde.)
hier stülpt Hantaï sich gerade ein bearbeitetes Papier über den Kopf.
Es werden Arbeiten aus verschiedene Epochen Hantaïs gezeigt. Einmal seine Antworten auf Matisse und Pollock und zum anderen die großen (3 x 4 Meter) bearbeiteten Flächen. Hier wird eine große Unterlage mit weiß bemalt (grundiert), willkürlich gefaltet, mit einer Walze geplättet und bemalt (meist monochrom). Später zieht er sich die riesige Leinwand über den Kopf, so als ob er ein übergroßes Kleid anziehen möchte und kämpft solange damit, bis er es endlich an der Wand hat. Es entsteht ein « collage »-Effekt, der aber irgendwann dann inflationär wird. (Vielleicht aber auch, weil ich mir den begleitenden gut gemachten Kurzfilm dreimal angesehen habe!) Im großen Aufgang, eigentlich der prominenteste Teil der Ausstellungsfläche, hängen fast verloren nur kleinere Arbeiten und im Nebenraum einige (schöne) aus seiner letzten Schaffensperiode, er nennt diese « erniedrigte Arbeiten » – vielleicht weil die Kraft nicht mehr da war, die riesigen Flächen zu handhaben?.
Die Bilder sind schön, sensibel, fast dekorativ und verlangen kein sehr großes Einlassen auf sie. Man mag sie einfach, aber man vermisst auch die Meditation. Sie fällt der physischen und mechanischen Arbeit, diese riesigen gefalteten und gepressten Papiere zu bewegen, zum Opfer. Jedenfalls kam mir das bei den großen Exponaten so vor. Aber wenn man an das Grundprinzip dieser Support-Surface-Künstler denkt, dann ist das ja auch gewollt. Materie hat den gleichen Stellenwert wie Idee oder Realisierung!
Der Direktor der Akademie, Eric de Chassey in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou Paris, hat das Konzept enwickelt und kuratiert die Ausstellung, in der 40 Werke zu sehen sind.
Christa Blenk
Gut recherchierter Artikel ueber die « Support Surface » Bewegung. Hab gleich darauf nach weiteren Kuenstlern dieser Bewegung gesucht.
Bravo!
Irmi Feldman