Poliakoff – Der Traum von den Formen
Serge Poliakoff: Le rêve des formes (Der Traum von den Formen)
Ein Klassiker der Moderne kehrt nach über 40 Jahren in das Museum für Moderne Kunst in Paris zurück.
Ein Bild, drei Bilder, tausend Bilder, alles das Gleiche, sagte Poliakoff. Seine Bilder kommunizieren untereinander und schaffen eine nachhaltig formelle und ausdrucksstarke Kontinuität, überlegt die Kuratorin Dominique Gagneux.
Man nehme: von Matisse die Poesie, von Kandinsky den Konstruktivismus, von Rothko die elegant-minimale Chromatik, dann vereine man dieses mit sinnlich-organischen, geometrischen und plastischen Farb-Formstrukturen und rühre solange, bis eine perfekte Symbiose erreicht ist. Das sind Poliakoffs harmonische Bilder – leise und unaggressiv, unverwechselbar und einzigartig. Dieser Eintopf hätte natürlich schon mal anbrennen können. Die hier ausgestellten Exponate verkünden aber das Gegenteil. Poliakoff wusste genau, wann jedes einzelne Werk „gar“ war. Weniger ist mehr!
In seiner russischen Heimat hat er sich mit Ikonenmalerei befasst. Die Erinnerung daran hat ihn sein Leben lang begleitet und wenn man die Augen halb verschließt, kann man diese Ikonen in seinen Bildern wiederfinden. Aber die Werke des 1940 verstorbenen Paul Klee hat er sicher auch gekannt.
Serge Poliakoffs Arbeiten trugen nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend zur Durchsetzung des abstrakten Expressionismus bei. Für ihn gab es eine klare Trennlinie: Abstraktion = Freiheit und Realismus = Diktatur. Er war der wichtigste Vertreter der Zweiten Schule von Paris. Diese Bewegung ließ 1950 die französische Hauptstadt nochmals als Kunstmetropole auflodern, bevor die Flamme endgültig erlosch und der Stern der Kunst über New York aufging. Natürlich auch, weil viele Künstler vor und während des Krieges Europa verlassen mussten. Trends und Kunstrichtungen würden ab Mitte der 50er Jahre über den Atlantik nach Europa kommen.
1900 ist er in Moskau geboren, verließ aber bereits 1917 im Trubel der Oktoberrevolution für immer seine Heimat. In den 20er Jahren gelangte er auf Umwegen über halb Europa schließlich nach Paris, wo er sich anfangs als Gitarrenspieler in Kabaretts übers Wasser hielt. Seine Mutter hatte ihm eine musikalische Erziehung mit auf den Weg gegeben. Zwischendurch nahm er Malunterricht in Paris und London. Durch die Bekanntschaft mit Kandinsky, Otto Freundlich und dem Ehepaar Delaunay kam er schließlich ganz zur Malerei. Poliakoff fand seine Form- und Farbkompositionensprache (seine Lieblingsfarben waren Rot – Gelb – Blau) ebenfalls über Umwegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg und nach einer figurativen, recht akademischen Initiationphase (Landschaften, Akte) immer hin und hergerissen zwischen Fauvismus und Orphismus. Während der bedeutendste Vertreter der Farbfeldmalerei (colour field), Mark Rothko, seine monochromen Felder übereinander stapelte, füllte Poliakoff den Leinwand-Raum mit nebeneinander bzw übereinander positionierten Strukturen. Wie ein Rubik’s Cube, der entweder von fachmännischer flinker Hand oder mit gebremster verhaltener Energie entschlüsselt wird. Puzzle-artig vermischen sich die Formen, immer klaren Linien folgend und Raum und Oberfläche den nötigen Respekt zollend. Erst am Ende seines Lebens – ähnlich wie sein Zeitgenosse Rothko – kam er auf die Farbe Schwarz und seine Bilder wurden karger.
Poliakoff jonglierte sein Leben lang zwischen Bohème und Dandy, brauchte die Unordnung im selben Maß wie er schöne Kleidung haben musste. Gepflegte Umgangsformen und elegante Restaurants gehörten genauso zu ihm wie schmutzige Arbeitsschürzen. 1962 ist er Franzose geworden und im gleichen Jahr wurde er in den französischen Pavillon zur Biennale nach Venedig eingeladen.
1969/1970 bereitete das Museum für Moderne Kunst eine wichtige Retrospektive über ihn vor, diese sollte er aber nicht mehr erleben: Serge Poliakoff starb im Oktober 1969 in seinem Atelier in Paris.
Die Kommissarin der Ausstellung Dominique Gagneux hat für diese umfassende Retrospektive 150 Schlüsselwerke darunter 70 Gemälde, Gouachen, dekorative Glas- und Textilarbeiten sowie Zeichnungen herangeschafft, die allesamt zwischen 1936 und 1969 entstanden sind. Visuelles und auditives Archivmaterial über sein Leben bereichern die gelungene Ausstellung, die noch bis zum 23. Februar 2014 im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris zu sehen ist.
(Nach dem Ausstellungsbesuch kann man sich auf die schöne Terrasse der Cafeteria setzen und – den Eiffelturm vor den Augen – einen Café Crème trinken).
Christa Blenk