Cabo de Gata – Eugen Ruge (oder die rote Katze)
transparentes Wasser und rauhe Poesie
Cabo de Gata: Eine traumhaft schöne Ecke an der Küste von Almeria, jedenfalls ist das in meiner Erinnerung noch so. 1983 dauerte die Fahrt mit dem Auto von Madrid nach Cabo de Gata an die 8 Stunden, es gab keine Autobahn und man durchquerte – vorbei an vielen Bausünden – hunderte von kleinen und manchmal hässlichen Dörfern und Siedlungen, die in den 80er Jahren noch lange nicht die Franco-Diktatur überwunden hatten. Man durchquerte die Wüste, in der in den 60er Jahren viele der bekannten Italo-Western gedreht wurden. Anfang der 80er konnte man noch Holzhütten und Cowboy-Dörfer wie bei « 12 Uhr mittags » sehen und Bud Spencer und Terrence Hill geisterten noch herum. Ansonsten war man eher unangenehm berührt, vom umherfliegenden Plastik – ein „Kollateralschaden“ der großen Obst- und Gemüsefarmen für die Europäische Union und damals Spaniens große Hoffnung, schnell das Europäische Niveau zu erreichen.
Wie auch immer: Wir kannten die Ecke nicht und sind auf Empfehlung einer Freundin hergekommen (allerdings mit der Auflage, es bloß nicht weiterzuerzählen – haben wir auch nicht getan, aber es sollte sich trotzdem rumsprechen und die Zerstörung war natürlich nicht aufzuhalten)!
Plötzlich tauchte also diese jungfräuliche Küste vor uns auf, keine Spur von Immobilienspekulation, wie sie weiter südlich in Marbella oder Torremolinos überall zu sehen ist und man von den 15stöckingen Kästen 2 Meter vom Stand entfernt direkt erschlagen wird. Nur ein paar unberührte und hübsche blau-weiße Fischerdörfer, Ruinen und 60 km Naturpark – es war einfach traumhaft. Unser Ort war San José, kein fließendes Wasser, kein Telefon, nur ein kleines vergammeltes Geschäft und S., eine Holländerin, die in den 70erJahre mit ihren Kindern dort gelandet war und die uns ein Minihaus am Strand vermieten konnte, das einer Verwandten gehörte (sie nannte es „la jaula de la suegra“ – so ungefähr „ der Käfig der Schwiegermutter).
Dann entdeckten wir nacheinander die Traumstrände „Los Genoveses“, la „Playa de Monsul“ (vor der riesigen Sanddüne ist dann später ein Indiana Jones Film gedreht worden und Sean Connery verjagt mit seinem Regenschirm die Möwen) und la „Cala de la Higuera“, klein und steinig, aber bildschön und wild romantisch. Nur zu Fuß und mit guten Schuhen waren diese Strände zu erreichen. Die Belohnung für den Marsch durch die gnadenlose Sonne war dann himmlisches Alleinsein an unserem »Privatstrand ». Im Laufe der Jahre kamen allerdings in dieser Reihenfolge das fließende Wasser, eine Telefonkabine, Restaurants, immer mehr Touristen und als in San José das erste Hotel eröffnet wurde, haben wir aufgehört hinzufahren, das war dann aber schon Ende der 90er Jahre. Aber ich erinnere mich auch an die kalten Tage an Ostern zum Beispiel, an die Mohnblumenexplosion in der Sandwüste, wenn es zwei Tage Regen gab (es regnet fast nie in Almeria, aber wenn dann wurde man im Bett nass!) an die Schwierigkeit, etwas Anständiges zu essen zu finden, an den krachenden blauen Himmel im Frühjahr und das leicht Diesige im Sommer und Spätsommer, an die Atlantik-Temperaturen, wenn von der Gibraltar-Seite eine kalte Strömung heraufkam und das grobe Salz (sal gorda), das aufgeschichtet in der Nähe am Straßenrand lag und vorallem an die von Borja – ausgestattet mit Neoprenanzug, Bleigürtel und Harpune – gefangenen Fische, die jeden Tag kulinarisch zum Sonntag machten (Seehecht im Salzmantel) !
Als ich dann vor ein paar Wochen am Flughafen München, wo ich noch schnell eine SZ kaufen wollte, aus dem rechten Augenwinkel den Titel gelesen hatte „Cabo de Gata“ musste ich Ruges Buch natürlich sofort kaufen. Das « kenn-ich-doch »- Erlebnis war unglaublich: Ich habe meine Erinnerung an diese Zeit fast identisch wieder gefunden, nur positiver und glücklicher als der Namenlose aus Berlin.
Ich erinnere mich …. das ist der immer wieder kehrende Hauptsatz in seinem Buch, das ausschließlich aus Erinnerungen, aufgezeichnet 20 Jahre später, besteht.
Berlin, kurz nach der Wende. Ein Namenloser, wahrscheinlich Schriftsteller, angeekelt vom Konsumdenken und depressiv-müde von seinem Daseinszustand, kündigt seine Wohnung, verschenkt sein Hab und Gut und verlässt – nur mit einer Hängematte und ein paar Kladden ausgestattet – seinen Wohnort, nimmt einen Zug nach Barcelona, bleibt dort eine Nacht und stellt fest, dass dieser Ort noch nicht weit genug weg war, er also immer noch nicht „angekommen“ war. Afrika sollte es sein. Durch Zufall sieht er einen Hinweis auf Cabo de Gata und fährt nach einer Nacht in Barcelona, das ihm überhaupt nicht zusagt, mit dem Bus nach Almeria um dort einen anderen Bus nach Cabo de Gata zu nehmen.
Er erinnert sich, an die umherfliegenden und alles zudeckenden Industrieplastikreste, an verdorrte Palmen, an zähnefletschende Hunde, an den blauen Himmel, an das kalte kleine karge Zimmer, an die Dickärschige, die ihm jeden Tag unfreundlich sein Essen serviert, an die zwei Zufallstouristen, die nach ein paar Tagen wieder abreisen, an den Sarg am Strand, an die Flamingos, an die rote Katze, an die Verschlossenheit der dortigen Bewohner, an die tägliche Suppe, den Fisch, an die auf den Tisch geknallte Flasche Rotwein …… Der Roman lebt von der Wiederholung.
Auf nur 200 Seiten beschreibt er 174 Tage in der Einsamkeit und erklärt sein kleines Universum. Er braucht immer nur ein paar Wortfetzen, um den Leser voll ins Bild zu setzen und von der unendlichen Eintönigkeit seiner Existenz zu überzeugen. Komischerweise empfindet man aber kein Mitleid mit ihm – das will er auch nicht. Außer ein « mucho trabajo? » und die Antwort „poco dinero“ bringt er keine Konversation mit den Einheimischen zustande. Das magische Erscheinen der Katze, die plötzlich dem Namen des Ortes „Kap der Katze“ einen Sinn gibt, hat seiner eigentlich unnützen (für die Katz) Existenz in dieser Isolation dann einen Zweck gegeben. Er beschreibt, was er tut und vor allem was er nicht tut. In den Tag hineinleben und nicht mit dem Buch beginnen, ein kleines Brot kaufen, Käseration einteilen, Katze füttern, sich über die Unfreundlichkeit der Dickärschigen zu ärgern, Billard zu spielen. 174 Tage trägt er sein Notizbuch spazieren, um einen Roman zu schreiben, ohne allerdings jemals von er Inspiration geküsst zu werden.
Ruges Buch ist ein existentielles, poetisches und aufrichtiges Buch. Zwischen Camus und Murakami ignoriert der Erzähler die Ästhetik und das Unberührte dieser Gegend. Und wenn er erwähnt, wie klamm es in seinem Zimmer ist und er sich mit Kerzen erwärmen muss, dann ist das eher eine Feststellung als eine Beschwerde. Er verspürt nicht die geringste Lust, etwas an seinem Zustand zu ändern, Spanisch zu lernen oder von den Dorfbewohnern mit einbezogen zu werden. Dafür wird die Katze immer mehr zu seiner Vertrauten. Dies alles geschieht auf eine ruhige und dahinplätschernde Weise.
Auf der ersten Seite des Buches steht „die Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war“ – das lässt ja eigentlich die Schlussfolgerung auf ein Selbstportrait zu. Ruges Novelle hat einen wunderbaren Rythmus und man legt es eigentlich nicht weg bis zum Ende.
Christa Blenk – hommage à Borja
Fotos: cb