Cezanne und die Italiener des Novecento
Mythos Cézanne – Vater der Malerei der Moderne
Cézanne und die italienischen Maler des Novecento (20. Jahrhundert) – Ausstellung im Complesso del Vittoriano
Ja, Cézanne, er ist der Größte von uns allen! Diese generöse und neidlose Bemerkung stammt von Claude Monet, er machte sie dem französischen Journalisten und Staatsmann Georges Clemenceau gegenüber. Picasso bezeichnete ihn als unser aller Vater und Matisse nannte ihn sogar eine Art lieber Gott der Malerei.
Giorgio Morandi (1980-1964), Umberto Boccioni (1882-1916), Carlo Carrà (1881-1966), Gino Severini (1883-1966) und Giuseppe Capogrossi (1900-1972), nur um ein paar italienische Künstler des 20. Jahrhunderts zu nennen, bezeichneten sich als Nachkommen von Cézanne und offenbarten stolz den prägenden Einfluss von Cézanne auf ihre Kunst.
1895 hatte Cézanne – Dank des jungen aufstrebenden Galeristen Ambroise Vollard – seine erste individuelle Ausstellung in Paris und schon ein paar Jahre später – Anfang des 20. Jahrhunderts – erkannte der italienische Maler und Kritiker Ardengo Soffici das französische Genie aus der Provence. Zwei hier ausgestellte Landschaften aus den 20er Jahren von ihm dokumentieren das eindeutig. Voller Anerkennung für Cézanne übersiedelte er aus dem brodelnden Paris in ein im Futurismus-Wahn schwebendes Italien. Das futuristische Manifest wurde 1909 herausgegeben. 1910 organisierte Ardengo Soffici in Florenz die erste Impressionisten-Ausstellung in Italien überhaupt. Auf der ersten Nachkriegs-Biennale von Venedig wurden außerdem 28 Bilder des Franzosen präsentiert. Futuristen wie Boccioni oder Severini erfanden durch Cézannes die Landschaft von Poussin neu. Allerdings schlugen die Italiener später einen anderen Weg ein und verschrieben sich – wie z.B. Sironi – der faschistischen Malerei in den 30er Jahren.
Man erkennt die Cézanne Bilder schon von weitem. Dichte, Umgang mit Pinsel und Farbe sind ganz anders. Die Italiener sind schneller, kälter, oberflächlicher. Es fehlt die Meditation, das Langsame. Schließlich haben sie den Kubismus in Bewegung gebracht und den Futurismus erfunden. Vor allem aber lagen wichtige Jahre dazwischen, Jahre in denen Cézanne Größen wie Picasso und Matisse prägte. Bei den meisten Bildern, vor allem bei den Portraits und Badeszenen, denkt man zuerst an Picassos blaue und rosa Periode, die sich gerade zu dem Zeitpunkt wieder verabschiedete, als Cézanne in Italien bekannt wurde.
Vom großen Morandi sind wunderbare nature mortes zu sehen. Er hat das mit der Abschaffung der Stimmungsmalerei kapiert. Boccioni hat nie ganz den Futurismus verlassen und wenn, dann wird er gleich zu Matisse. Aber sehr schön seine ausgestellten Werke. Die von Severini ausgestellten Bilder aus den 40 und 50er Jahren hätte man meiner Meinung nach weglassen können. Viele Werke von Carlo Carrà kommen ebenfalls aus Privatsammlungen, er bleibt Metaphysiker zollt aber dem Douanier Rousseau Ehre, in dem er dann und wann naive Elemente in seine Bilder einbaut, z.B. Festival IIaus 1924. Mit seinen roten Äpfeln in seinen Stillleben sind diese bunter als die von Morandi und deshalb sehen sie denen von Cézanne ähnlicher. Sehr schön Casa abandondata – seine Bilder sind tragischer als die des Meisters, aber in den 30er Jahren war die Welt auch dramatischer als Ende des 19. Jahrhunderts.
Dann bleibt noch Mario Sironi, ohne Zweifel ein wichtiger Künstler in Italien, schwarz und drohend-faschistisch Nudo aus 1928! Hier schwebte er auf der Regimewolke und irgendwo zwischen den deutschen Expressionisten und dem sozialistischen Realismus.
Interessant, die Verbindung mit Künstlern wie dem Symbolisten Felice Carena. Er wechselt oft den Stil und zollt Poussin Ehre oder vielleicht sogar Tizian. Einem sehr symbolistisch-expressionistisches tempu fugit aus 1943 stellt die Kuratorin ein Teschio e bollitore aus 1864 aus einer Privatsammlung gegenüber.
Ein Cézanne sollte unbedingt noch erwähnt werden. Diebe und Esel datiert 1869 – wobei Cézanne mit den Datierungen seiner Schöpfungen eher locker umging – schuf er hier ein expressionistisches Werk, das man auch einem Goya oder Daumier zuordnen könnte – sogar der Titel weist auf Goyas pintura negra hin. Die Galleria d’Arte Moderna Mailand hat es ausgeliehen. Beeindruckend.
Die Kuratorin, Maria Teresa Benedetti, hat sich mit dieser Ausstellung ein sehr ehrgeiziges Projekt vorgenommen und sie mehrere Jahre vorbereitet. Einfachheitshalber hat sie die Ausstellung dann Cézanne und die italienischen Maler des 19. Jahrhunderts genannt. Durch die ausgesuchten Werken hat sie aber auch Cézanne neu entdeckt. Dank ihres Aufwandes bereichern Leihgaben aus aller Welt (Museum Sidney, Musée d’Orsay Paris, aus der Hermitage, der Stiftung Bührle aus Zürich, aus Budapest) die Ausstellung und dokumentieren so den revolutionären Einfluss von Cézanne auf die italienische Moderne. Viele der italienischen Leihgaben stammen ebenfalls aus Privatsammlungen. Allein schon deshalb lohnt sich der Besuch der Ausstellung.
Paul Cézanne, 1839 in Aix-en-Provence geboren, war am liebsten zu Hause. Er verbrachte – abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz – sein Leben in Frankreich. Nach zwei quälenden Jahres des Jurastudiums und Zeichenunterricht in Abendkursen, überredete ihn sein Freund Zola 1861 nach Paris zu ziehen, wo er es aber nur ein paar Monate aushielt. Im alten Landhaus Jas de Bouffan (Haus des Windes) seines Vaters lebte und arbeitete er lange Jahre und viele seiner Landschaftsmotive stammen aus dem parkähnlichen Garten, den er täglich gesehen und im Geiste abgemessen und zerlegt hat. Anfang der 70er Jahre zog er dann doch wieder gen Norden, nach Auvers-sur-Oise, wo er u.a. auf Pissarro traf und mit ihm arbeitete. 1874 nahm er dann, eher mir geringem Erfolg, an der ersten Impressionistenausstellung in Paris teil. Anfang des 20. Jahrhunderts zog ihn das südfranzösische Licht allerdings wieder nach Aix en Provence, wo er 1906 verstarb.
Cézanne hat die Malerei des 20. Jahrhunderts einschlägig geprägt, revolutioniert und beeinflusst. Er hat neue Maßstäbe gesetzt und die Leiter nach oben verlagert. Langsam und bedächtig war er, viele seiner Bilder hat er selber nie als beendet betrachtet und einige Werke waren über Jahre hinweg ein „work in progress“! Dabei strebte er vor allem seinem Vorbild, dem französischen Barock-Klassizisten Nicolas Poussin nach. Stellen Sie sich Poussin ganz und gar aus der Natur wiedergewonnen vor , das ist die Klassik, die ich anstrebe, sagte er. Ernst Gombrich hat es so gedeutet: „Cézanne sah seine Aufgabe darin, nach der Natur zu malen, d.h. sich der Entdeckungen der Impressionisten zu bedienen und dennoch gleichzeitig die innere Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit wiederzugewinnen, die die Kunst Poussins ausgezeichnet hatte“.
Wie Cézanne hat vorher nie ein Maler geometrische Formen wie Zylinder, Kugel und Kegel in seine Formen zerlegt und mit einer bestechlichen Sicherheit genau den Moment erkannt, in dem die „richtige“ Perspektive erreicht war und die Formen ein Bild werden durften. In seinen Arbeiten sind schon kubistische Fragmente zu entdecken, als es das Wort in der Kunst noch gar nicht gab. Er ging ganz systematisch – fast wissenschaftlich – vor und jeder Prozess war gleich wichtig. Motivsuche, Empfindung, Verwirklichung – immer alles schriftlich festhaltend, oft in Briefen an Freunde und andere Maler.
Nach Deutschland kam sein Ruf ebenso schnell wie intensiv. Paula Modersohn Becker entdeckte ihn schon 1900 und beschäftige sich bis zu ihrem Tod sieben Jahre später mit ihm. Ebenso der Impressionisten-treue Willi Baumeister. Sein Zusammenstoß mit Cézannes Arbeiten änderten seinen Stil drastisch und dauerhaft, bis er zum Verfechter des Kubismus wurde. Für Paul Klee war er sein Lehrmeister par excellance und Der Blaue Reiter veröffentlichte Texte über ihn im Almanach, in dem Franz Marc von der Geistesverwandtschaft zwischen El Greco und Cézanne referierte.
Keiner kam an ihm vorbei, sei es Kandinsky, die Russische Avantgarde oder Dichter wie Rilke. Ihn beeindruckte besonders die Abschaffung der sogenannten „Stimmungsmalerei“. Was Cézanne in der Malerei bewerkstelligte, wollte er, Rilke, auf die Poesie übertragen, so sollte seine Lyrik aussehen. Nach dem Besuch der Ausstellung setzte er „Der neuen Gedichte anderer Teil“ fort.
Besser als Baumeister allerdings kann man Cézannes Bedeutung nicht beschreiben: Der zweite Beugungswinkel (nach dem ersten, der zwischen Cimabue und Giotto beschrieben wird) in der Geschichte der Kunst liegt bei Cézanne. Es beginnt die Abwendung vom „naturgetreuen Abbild“ und die Hinwendung zur unabhängigen Formschöpfung und Farbschöpfung. […] Vergrößert man gewisse Bildteile bei Cézanne, […] so bemerkt man ein rhythmisches Gefüge, das kubistisch zu nennen ist und das der Kubismus übernahm.
Christa Blenk
Text für KULTURA EXTRA
Eine zweite Ausstellung in Rom in der Galleria d’Arte Moderna stellt ebenfalls einen Franzosen als Vorbild einer Kunstrichtung vor: Marcel Duchamp und ready made in Italy (s. http://eborja.unblog.fr/2013/10/12/100-jahre-ready-made-the-bicycle-wheel-marcel-duchamp-in-der-gnam/ ).