Geburstagskonzert vom Feinsten – ein Liederabend in Rom
Teatro maritimo – Villa Adriana
Das klassische Klavierkonzert lebt immer noch.
Markus Hadulla, Urszula Kryger und Peter Schöne (der kurzfristig für den erkrankten Roman Trekel eingesprungen war und den er würdig vertreten hat) gaben sich am 29. Oktober ein großartiges und ungewöhnliches Stelldichein im Oratorio del Gonfalone.
Unter der faszinierenden Holzdecke aus dem 16. Jahrhundert und umgeben von einem einmaligen Freskenzyklus aus der Spätrenaissance kredenzten die drei fabelhaften Musiker Lieder aus dem 20. Jahrhundert. Man müsste wirklich lange überlegen und viel forschen, um dieses Programm zu toppen!. Wenn einer fehlte, dann der andere Meister des Liedes: Hans-Werner Henze.
Das kleine Kammermusiksaal-ähnliche Oratorium hat eine wunderbar natürlich-dezente Akustik und die wirklich genial ausgesuchten Stücke von Luciano Berio, Wolfgang Riehm, Witold Lutoslawski, Aribert Reimann und Benjamin Britten – alle diese Komponisten sind schon einmal Preisträger der Ernst von Siemens Stiftung gewesen, die dieses Jahr ihr 40jährigen Bestehen feiert – waren sicherlich für viele der Zuhörer eine (wichtige) Premiere und kamen glänzend zur Geltung.
Urszula Kryger eröffnete mit « Quattro canzoni popolari“, die Luciano Berio (1925-2003) 1947 komponierte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Berio gerade in Mailand sein Studium begonnen und war noch weit weg von Darmstadt und der elektronischen Musik. Seine Vorbilder waren Schönberg, Alban Berg, von Webern, Strawinsky und Darius Milhaud. Vielleicht hat man aber auch Referenzen auf Falla rausgehört! In den 60er Jahren würde er diese Lieder z.T. erneut in seinen Folk Songs wieder aufnehmen.
Sehr passend zum Konzertort die von Wolfgang Rihm (*1952) vertonten Verse von Michelangelo (von Rilke ins Deutsche übertragen). Michelangelo hat ungefähr in der Zeit gearbeitet, in der diese herrlichen Fresken um uns herum im Oratorium entstanden sind. Peter Schöne, der wie gesagt kurzfristig eingesprungen ist, hat diese drei anspruchsvollen und die Stimme fordernden Sonette mit einer tiefen, beeindruckenden und perfekt textverständlichen Leichtigkeit vorgetragen, meisterhaft unterstützt von Markus Hadulla. Rilke ging sehr streng mit der Übersetzung um, und Rihm hat das nicht weniger aufwendig durchkomponiert. Gerade deshalb aber sind sie so frei und bieten viel Raum für ungewöhnliche Klangfarben und Variationen. Urszula Kryger hat dann wieder den Stab übernommen und mit den fünf polnischen Lieder „Meer“ – „Wind“ – „Winter“ – „Ritter“ und „(russisch-orthodoxe) Kirchenglocken“ von Witold Lutoslawski (1913-1994) nach Gedichten von Kazimiera Illakowicz (1956) das Publikum regelrecht verzaubert. Alle hingen wir an ihren Lippen, um ja nichts zu verpassen. Lutoslawski wollte ursprünglich in Paris studieren, der zweite Weltkrieg kam aber dazwischen. Nach dem Krieg hielt er sich mit Auftritten in Cafés und mit Arrangements von konventioneller Gebrauchsmusik für Werbung und Radio sowie mit dem Komponieren von Kinderliedern über Wasser. Erst 1954 im Zuge einer kulturpolitischen Lockerung konnte er sich der neuen Musik hingeben, experimentierte mit serieller Musik und probierte auch andere neue Musiktechniken aus, reiste, u.a. war er Jurymitglied in Donaueschingen.
Peter Schöne stand ihr aber ihn nichts nach. Er sang im folgenden zwei Verse von Michelangelo auf italienisch, eine Komposition, die der Liedspezialist Aribert Reimann (*1936) vertont hat. Schöne hat nur zwei der drei laut Programm vorgesehenen Stücke gesungen, das hat aber gereicht, um seine Expertise zu beweisen. Eine sehr minimale Komposition, beginnend nur mit Gesang bis dann die zweite Duo-Stimme in Form von Klavier sich hinzu schleicht.
Und endlich Benjamin Britten (1913-19756), das Highlight dieses schönen Abends. Hier treffen gleich mehrere Jubiläen und Premieren aufeinander: 1973 wurde die Ernst von Siemens Musikstiftung ins Leben gerufen, Britten war ihr erster Preisträger und der Liederzyklus „On this Island“ (op 11) war 1937 der erste Liederzyklus dieses englischen Komponisten, der übrigens dieses Jahr auch den 100. Geburtstag feiernt. Seine Stücke sind heute Abend die « ältesten » Werke. Britten vertonte hier Verse von W.H. Auden, ihn hatte er kurz vorher kennen gelernt und Auden sollte auch in Zukunft ein wichtiger Lieferant von Libretti für ihn werden. Nur ist dieser Zyklus ausnahmsweise mal nicht für einen Tenor bestimmt. Britten hat fast alle seine Lieder für seinen Lebenspartner, den Tenor Peter Pears geschrieben, den er witzigerweise auch 1937 kennen lernte. Die fünf sensiblen,teilweise witzigen und ansprechenden Lieder „Song“, „Now the leaves are falling fast“, „Seascape“ „Nocturne“ und „As it is, plenty“ sind nicht nur eine Hommage an Purcell, sein großes Vorbild, sie erinnern vom Thema her auch wieder an die fünf polnischen Lieder und komplettieren den Liederkreis. Als Urszula Kryger dann mit „..And final, final, das letzte Lied beendete, brach ein Begeisterungssturm los. Britten hat diese fünf Lieder vor dem Krieg komponiert, nach dem Tod seiner Eltern und schon mit dem Gedanken spielend, das strenge und konventionelle und – für ihn – musikgeschmack-verirrte England zu verlassen, was er dann 1939 auch getan hat.
Klänge und Noten schwebten vielschichtig, manchmal nur angehaucht von der Mezzo-Soprano Urszula Kryger – vielleicht sogar getragen von Engeln – durch den Raum bis in den letzten Winkel. Sie ist in Lodz geboren, hat dort und in Kopenhagen studiert. In den 90er Jahren hat sie viele internationale Wettbewerbe gewonnen, dementsprechend weit umfassend und facettenreich ist ihr Repertoire das vom deutschen Barock zur italienischen Oper und vom Romantiklied zur Moderne geht. Bei den Berliner Festwochen ist sie z.B. ständig zu Gast.
Der mehrfache Preisträger und Berliner Bariton Peter Schöne, hat u.a. bei Thomas Hampson studiert. Für ihn war es musikalisch fast ein Heimspiel. Die Interpretation von moderner und zeitgenössischer Musik gehört zu seinem Hauptgebiet und Kompositionen von Aribert Reimann, Wolfgang Rihm und Moritz Eggert sind Teil seines täglichen Musiklebens.
Der Kölner Pianist Markus Hadulla kommt aus der Schule des Liedpianisten Hartmut Höll, der – nebenbei bemerkt – sehr oft mit Urszula Kryger arbeitet. Auch er ist auf allen wichtigen Parketts zu hause. Sein besonderes Interesse gilt dem Zusammenspiel von Literatur und Musik – dem eigentlichen Thema dieses Abends. Mit Peter Härtling und Walter Jens hat er diesbezüglich schon Projekte realisiert.
Markus Böggemann beschreibt die ausgewählten Stücke ganz wunderbar im Programm und wenn man sie vorher nicht kannte, will man sie spätestens nach Lektüre dieser kurzen Erläuterungen sofort kennen lernen. Die glänzende Darbietung tut dann den Rest. Bravo und herzlichen Glückwunsch!
Christa Blenk