Quiz für Kulturbeflissene: The power of theatrical madness
Romaeuropa Festival Special
Jan Fabre
Text auf KULTURA EXTRA
The power of theatrical madness
Drei Minuten vor dem theoretischen Beginn dürfen wir in den Saal. Am Ende der Bühne stehen 11 Personen mit dem Rücken zu uns und schauen auf eine Art Klagemauer. Weiß-ziegelfarbig die Mauer, schiefer-schwarz der Fußboden. Die Akteure tragen weiße Hemden und schwarze Hosen sowie schwarze Schuhe. Von der Decke hängen kleine Lampen. Der Beginn vom Mininaltheater? Wir warten auf das was kommt. Eine Ewigkeit, verlegenes Hüsteln und Rascheln im Publikum. Schnell noch ein Bonbon auswickeln, bevor es losgeht. Plötzlich, leise von hinten oder aus dem Keller (ist es die Souffleuse?), hören wir eine Art Gebet, repetitiv und monoton in deutscher Sprache. Nach einem weiteren Weltalter fangen die Personen an, sich auf den vorderen Teil der Bühne zuzubewegen und rufen verschiedene Jahreszahlen in verschiedenen Sprachen in den Raum. Man weiß noch nicht, in welcher Sprache das Spektakel überhaupt gegeben wird, da es bis jetzt nur aus Zahlen und Namen besteht. Irgendwann kapieren wir dann, dass es um bahnbrechende und geschichtliche Theateraufführungen der letzten 150 Jahre geht. Brecht, Ibsen, Beckett, Reinhardt, Alfred Jarry etc. – alles was in der Theaterwelt Rang und Namen hat wird aufgerufen – immer und immer wieder – obsessiv und ermüdend. Plötzlich, da war wohl die Veranstaltung in Berlin, London und Antwerpen zeitgleich zu ende, rasender Applaus und begeistertes Getrampel der 11 Protagonisten. Kurz darauf entkleiden sich zwei Tänzer und nehmen – immer noch mit dem Rücken zu uns – Renaissance-Posen ein. Alle ca 5 Minuten darf die Pose gewechselt werden. Wagner Musik, aus der Walküre, dem Tristan und ein Siegfried. Ich meine auch, Salomé gehört zu haben. Die beiden nackten Jungs, haben nun Kronen auf und tanzen miteinander in das Ende des dritten Aktes der Walküre. Ist es vielleicht Ludwig II in einer Doppelrolle?
In „The Power of Theatrical Madness“ lädt Fabre zum Fernseh-Kulturquiz. An die Wand projizierte Gemälde alter Meister wie Michaelangelo, Ingres oder David gehören wohl zum Spiel. „Wer ist der Maler?“ „Wo kommt die Musik gleich nochmals her?“ Was passierte „1876?“ Wer von den Mitspielern nicht gleich das Datum des Premierenjahrs von Wagners „Ring des Nibelungen“ erkennt, wird hart bestraft, d.h. von der Bühne geworfen. Einer ungebildeten Darstellerin ist das passiert und sie kämpft vergeblich, wieder in den Kreis der Illustren aufgenommen zu werden. Sie kapiert es einfach nicht, obwohl der Richter ihr die Zahl xmal vorbetet.
Der diskrete Charme der Wiederholung, so nach dem Motto « Übung macht Meister! » Eine Stunde lang ist das noch ganz witzig, aber nach 80 Minuten – als déjà-vu für Fabre – verlassen die ersten Zuschauer verschämt den Saal, gelangweilt sind sie schon lange, dementsprechend ist der Lärmpegel hoch. Als die Tänzer dann plötzlich – sehr elegant muss man sagen – an die 300 Teller zerdeppern, aus denen sie grad vorher – diesmal bellend – gegessen hatten, gibt es spontan Applaus. Wishful Thinking! Die Pause kann nicht herbeiapplaudiert werden. Die obligatorische Telefonino-Abstell-Ansage vor dem Beginn der Veranstaltung kündigte das ganz klar an. Hat Fabre auch nicht vorgesehen. Das Publikum gönnt sich aber trotzdem eine Unterbrechung, man geht raus, nimmt einen Café und ein Sandwich, diese waren nämlich vor der Aufführung noch nicht fertig, man geht wieder rein, vielleicht. Ich weiß es, weil wir es auch so gemacht haben. Man konnte sicher sein, nichts zu verpassen, dann sah man eine Szene halt nur 5 x anstelle von 20 x. Allerdings : es gibt durchaus Nuancen bei der Expertise der auszuziehenden Socken. Fünf von den zehn auf der Bühne anwesenden Tänzer waren immer grad dabei sich aus- oder anzuziehen um dann umständlicherweise imaginäre zu enge Gewänder oder Roben anzulegen (frei nach Andersen und Des Kaisers neue Kleider). Das gesamte Pantheon der Theatermacher war präsent: von Konstantin Stanislawski, Heiner Müller über Peter Brook zu Bob Wilson und Bertold Brecht etc.
Der Flame und Theater-Wüterich Jan Fabre, Performancekünstler, Theatermacher, Choreograf und Durch-und-Durch-Artist ist 1958 in Antwerpen geboren. In den achtziger Jahren hat er das Theater beeinflusst, vielleicht sogar revolutioniert. Wahrscheinlich sieht er sich sogar als neuer Stanislawski, und hat ihm in der Aufführung prominente Erwähnungen gegeben. Fabres 1984 erarbeitete nur dritte Performance The power of theatrical madness bescherte damals der Biennale in Venedig viele Schlagzeilen. Knapp 5 Stunden hat es damals gedauert. Für die Aufführung beim Romaeuropa Festival wurde es bis auf – immer noch lange – 4 Stunden und 20 Minuten gekürzt.
30 Jahre später hat es an Witz und Pfiff eingebüßt und wirkt eher wie etwas künstlich zusammen Gebasteltes. Vielleicht sind wir, das Publikum, 2013 aber auch auf einem viel zu schnellen Trip. Eine überwältigend-originelle und respektvolle Hommage an das Theater ist es allemal!
Die Darsteller/Tänzer waren durch die Bank sensationell, mutig und durch trainierte Spitzensportler.
Das Festival dauert noch bis Ende November.
Christa Blenk