Hauskonzert in der Villa Massimo
Explosives Portraitkonzert im Mosaiksaal
Hauskonzerte waren im 19. Jahrhundert an der Tagesordnung und sind jetzt wieder in Mode. Mit diesen Worten leitete der Direktor der Villa Massimo in Rom seine kurze Begrüßung zum Portraitkonzert der diesjährigen Musik-Stipendiaten Stefan Johannes Hanke (1984) und Birke J. Bertelsmeier (1981) ein: Emotionen hat er uns versprochen und wir haben sie bekommen. Damit hat er aber auch schon anklingen lassen, dass wir keine atonale Musik hören würden.
Unterschiedlicher könnten die beiden jungen Komponisten gar nicht sein und deshalb war das Konzert gestern Abend auch etwas Außergewöhnliches, das sich so nicht wiederholen wird und kann. Ein hervorragend zusammengestelltes abwechslungsreiches und spannend-furchtloses Programm für Sopran, Quartett, Klavier und Kontrabass.
Die eine, Bertelsmeier, mathematisch, geheimnisvoll, intellektuell und fordernd. Der andere, Hanke, pastoral-naturverbunden, gefühlvoll, romantisch und witzig. Er ist ein Märchenerzähler und nimmt uns – mit Bartok-Referenzen und einem Augenzwinkern auf alte Werbeslogans – mit auf seine kleinen Ausflüge durch die Stadt.
Drei von den sieben 5 bis 10-minütigen Stücken waren Uraufführungen. Hankes Giardino Ornamentale (2013) eröffnet. Ein Spaziergang durch den von Haustieren besetzten „Ziergarten“. Eine „Animal Farm“, ein 10-minütiges Durcheinander von Stimmen, Bellen, Vogelgezwitscher und Schweinedialogen für Streichquartett. Beschwingt und amüsant auch sein Goldflinch Blues aus 2011. Am schönsten aber seine Nachmittagsträume. Wie hergebeamt, stehen wir ohne Vorankündigung plötzlich vor dem Pavillon der alternden Zirkustiere, Wut und Zorn ausgesondert zu werden bestehen gleichberechtigt neben der Freude, endlich in den Ruhestand gehen zu können; zwischendurch ein bisschen „no future“ Ambiente. Indessen wird mal kurz die Partition verwechselt und ein Notenständer fällt um – take me to the ball game (a night at the opera)!
Aber vorher kommt Birke Bertelsmeier. Sie begleitet die erste Arie des Seblon aus ihrem Letztwerk, der Oper Querelle (nach Jean Genet), selber am Klavier. Feierlich, poetisch und dramatisch, Yen-Chi Liang, die seit 2008 in Rom lebt und hier im Quirinal-Orchester mitspielt, am Kontrabass. Die Sopranistin Paola Ronchetti, sie gehört dem Ready Made Ensemble an und ist hier dann und wann mit neuer Musik zu hören, ist sehr gefordert und steht unter Strom. Abgesehen aber von einer manchmal etwas holprigen französischen Aussprache, jonglierte sie genial zwischen Sprachgesang und Arie. Die ausgeklügelte und gesuchte Schwierigkeit für die Sängerin – und dies würde gleich bei Notturna (Auszug aus der Oper Nachtigall und Rose nach Oscar Wilde) noch mehr hervortreten – hat Bertelsmeier ihrem Lehrer Rihm abgeguckt. Was so eine Stimme alles leisten muss! Aber wenigstens war der Text hier einfach. Es war ein sich Hinarbeiten von Nacht über Nachti auf Nachtigall, um dann noch schnell kurz vor Schluss das und Rose (das aber erst viel viel später in einem nächsten Konzert!) hinten dran zu hängen. Fünf Minuten spannende Verzweiflung, ob sie ankommen würde. Sublim, dynamisch und manieristisch, Bertelsmeier dirigiert selber – kontrolliert und sorglos – das kleine Ensemble. Mit zwei ausgesucht schönen Kurz-Stücken für Streichquartett aus 2008 und 2010 ging zu Konzert leider zu schnell zu Ende. Viel Applaus für die Musiker und Komponisten.
Die wunderbare Belgierin Edna Stern am Klavier. Vortrefflich das Asasello Quartett, extra aus Köln angereist und sichtlich-gerne mitwirkend. Sie existieren seit 2000 und haben sich die intensive künstlerische Konfrontation der Tradition mit der Gegenwart zur Maxime gemacht. Wir lachen und weinen mit Hankes Musik und das Schmunzeln bleibt auf unseren Lippen, während uns Bertelsmeier Rätsel aufgibt.
Birke J. Bertelsmeier (1981) studierte Musikwissenschaften und Komposition bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe sowie Klavier bei Pavel Gililov an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln. Auf den Darmstädter Ferienkursen hat das Arditti Quartett Werke von ihr gespielt und durch das Ensemble Modern war sie bei den Festivals Young Euro Classic und Alpenklassik vertreten.
Stefan Johannes Hanke ist 1984 in Regensburg geboren. Er studierte bei Prof. Winbeck in Würzburg Komposition und ging nach 6 Monaten Studienaufenthalt in Paris (an der Cité des Arts) nach Düsseldorf zu Prof. Trojahn. Hanke komponierte für den Heidelberger Frühling und trat beim ADEvantgarde Festival 2007 und 2009 auf. Sein Opernmärchen « Der Teufel mit den drei goldenen Haaren », ein Auftragswerk der Staatsoper Hannover, wird 2013 im November an der Semperoper Dresden zu sehen sein. Also nichts wie hin!
Christa Blenk
Hier noch der französische Text der Arie
Querelle (1. Arie des Seblon – Text Jean Genet)
Dans un jardin arabe il a cueilli cinq ou six rameaux chargés de mandarines et il les a mis dans l’échancrure de sa veste blanche d’où ils surgissent. Ce feuillage est sans doute ce qu’il porte sur sa large poitrine à la place de pelage, et peut-être à chacune des branches intimes et précieuses, est-il accroché des couilles éclatantes, dures et douces à la fois. C’est des couilles de beaux gosses que devraient chiquer les vieux loups de mer. Avant de toucher le plancher du navire il me voit: „Vous voulez une mandarine, Lieutenant?! Alors qu’il porte sa main à un fruit je sors la mienne de la poche et la tends lentement vers le matelot qui, souriant, y dépose son cadeau. Ces deux gestes me troublent.
Les amours avec Querelle seront pures car notre premier geste d’union vient de s’accomplir selon les lois d’une harmonie parfaite.