The Cast – Clemens von Wedemeyer
In Pygmalions Atelier
Der Berliner Video-Künstler Clemens von Wedemeyer ist zur Zeit Stipendiat der deutschen Akademie in Rom, der Villa Massimo. Seit gestern präsentiert er im MAXXI (Museum für die Kunst des XXI Jahrhundert) seine vier neuen Arbeiten: „Eine Reise durch das italienische Kino“ Kuratiert von Giulia Ferracci.
Mythos Cinecittà: „Der Film ist die stärkste Waffe“ soll der Kinofreak Mussolini 1937 bei der Eröffnung von Cinecittà gesagt haben und hat sich selbst gleich zum ersten Kameramann in dieser Filmstadt gemacht. Ob er dabei an Eisenstein und Alexander Newski gedacht hat, ist nicht dokumentiert. Bombardiert und ziemlich zerstört während des 2. Weltkrieges, hat Cinecittà, das während des Krieges nicht nur ruhmreiche Geschichten zu erzählen hat, auch als Lager für Vertriebene herhalten dürfen. Roberto Rosselini, Vittorio De Sica, Visconti und Fellini sind mit und durch Cinecittà zum Mythos geworden. Kommerzielle Mammutproduktionen wie Ben Hur und Quo Vadis Ende der 50er Jahren haben die schleichende Talfahrt eingeleitet. Die unvermeidlichen und leidlichen Italo Western Mitte der 60er Jahre gaben dieser zweifelhaften Kultstätte dann den Rest. Das intellektuelle Kino hat den Tod gefunden und Sergio Leone hat übernommen. Cinecittà kränkelte weiter bis zum Fast-Bankrott und schließlich zur Privatisierung 1997.
Martin Scorsese hat „Gangs of New York“ dort gedreht und Mel Gibson seine „Passion Christi“. 2007 sind 2000 Quadratmeter durch einen schweren Brand zerstört worden und jetzt steht es halb vernachlässigt vor den Toren Roms und wartet, wieder gebraucht zu werden. Heute werden höchstens noch Werbespots und TV Serien dort gekocht.
Clemens von Wedemeyer ist 1974 geboren und kennt die Glanzzeit des italienischen Kinos nur aus den Archiven und aus Cinematheken, sein nostalgischer Rück- und Ausblick auf das italienische Kino ist originell und einfallsreich.
Gleich bei der ersten Installation darf der Ausstellungsbesucher hinter die Türen von Cinecittà schauen. Man wandelt mit den Augen durch die dreidimensionale Requisitenkammer vorbei am Kino-Fundus, an Skulpturen, Armen, Beinen, Perücken, Kleidern, allen möglichen Deko-Utensilien, Pappe und Gips – fast wie in einem Gemälde von Jean-Leon Gérôme.
Direkt dahinter und – einen Stock tiefer – werden Filmausschnitte auf in den Boden eingelassenen Glaswänden gezeigt. Im hinteren Teil dann The Cast:
Kinobänke, große Leinwand, 1958: Ben Hur wird gedreht und wie alle wissen, die diesen Schinken gesehen haben, wimmelt es darin von Menschen, d.h. Statisten. 4000 Römer und Römerinnen wurden einbestellt, nur 1500 ausgesucht. Der Kunstkritiker Mino Argentieri hat am 7. Juni 1958 in l’Unità über die Revolten während der Dreharbeiten berichtet. Demnach zahlten die Bewerber auf eine Statistenrolle sogar Geld, um sich vorstellen zu dürfen. Die Nichtgenommenen stürmten also die Tore von Cinecittà und die Polizei musste einschreiten. Schilder in italienischer und englischer Sprache warnen vor Absahnern! Warning: The money you earn is entirely yours. Do not give any percentage or gift to anyone. Any persons who request any recompense for having called you for the job are punishable by law. Dessen ungeachtet wechseln zernüllte Lire-scheine trotzdem verschämt und hoffnungsvoll den Besitzer.
Der Film strahlt eine surrealistisch-metaphysische De Chirico-Kälte aus, nicht zuletztauch , weil er vor dem Hintergrund der faschistischen EUR Architektur gedreht wurde. Die Mitwirkenden in Wedemeyers Cast sind die derzeitigen Besetzer/Schauspieler eines der ältesten Theater in Rom: das Teatro Valle, dieses steht vor der Schließung und sorgt seit längerer Zeit für Polemik.
Mit griechischer Mythologie und 50 Jahre-Realität stellt Clemens von Wedemeyer gekonnt Beziehungen zwischen den Schauspielern und Statuen her, die sich manchmal zum Verwechseln ähnlich sehen; und der Zuschauer tut das was er tun muss: er schaut zu.
Gerardo Aparicio (diccionario de un tirano)
Im letzten Saal werden wir mit Deukalion und Pyrrah konfrontiert. Sie stehen mit Steinen in der Hand vor dem großformatigen Panorama Fenster und blicken auf Rom. Auch hier liegen Requisiten-Beine auf dem Boden. Ob sie die Steine (oder Beine) aber über ihren Rücken werfen wie es das Orakel wollte, bleibt offen. Vielleicht ist es aber auch das Atelier von Pygmalion, der versucht, Cinecittà (oder dem Teatro Valle) wieder Odem einzuhauchen!
Die Ausstellung geht noch bis zum 26. Januar 2014.
Christa Blenk