Pina Bausch im Teatro San Carlo
Unvergessliche Pina Bausch
Hier meine Besprechung auf KULTURA Extra :
40 Jahre Pina Bausch Tanztheater
hier wird gerade die Erde für das Frühlingsopfer ausgebreitet! Sogar diese Aktion, in der Pause, war ein Erlebnis und Teil der Inszenierung!
40 Jahre Pina Bausch Tanztheater – das Ensemble feiert dieses Jubiläum in Bari und Neapel – weit weg von Wuppertal und Solingen.
Vier Jahre nach Pina Bauschs plötzlichem Tod und nach einer anfänglich sehr spürbaren Unsicherheit wie es ohne Pina weitergehen sollte, ist das Ensemble nun auf eine kleine Süditalien-Tournee gegangen. Nach vier erfolgreichen und umjubelten Aufführungen in Bari (dort war Sweet Mambo zu sehen), traten die Tänzer vom 11.7. – 15.7. im Teatro di San Carlo in Neapel auf. Es war umwerfend perfekt und faszinierend. Pina war im Geiste dabei und hat den Einsatz gegeben.
Den ersten Anstoß zur Weiterführung dieses sagenhaften Ballett-Ensembles hat sicher der Film von Wim Wenders gegeben. Er hat mit Bewunderung und Zärtlichkeit für die große revolutionäre Choreografin die Schockstarre gelöst.
Café Müller: Pina Bausch ist in der Nähe dieses Cafés in Solingen aufgewachsen und hat so manches süße Teilchen dort gekauft. Dabei hat sich ihr Unterbewusstsein mit Szenen und Dramen gefüllt, die sie 1978 als Ballett verarbeitete. Seitdem zählt Café Müller zu den Klassikern des modernen Tanztheaters, ähnlich wie Béjarts Bolero.
Ruhrgebiet in den70er Jahren: Ein großer eher nüchtern-seelenloser Raum, der durch eine Drehtür betreten wird, links und rechts jeweils eine weitere transparente große Tür. Kaffeehausähnlich stehen überall einfache Holzstühle und Tische. Helena Pikon tanzt perfekt Pinas Rolle der großen schmalen weißen Frau, die sich 45 Minuten vorsichtig durch den Raum tastet, in der Drehtür hängen bleibt und den Absprung nicht findet, Stühle umrennt, an Tische stößt und erschrocken zurückweicht, auf der Suche nach etwas, was es in dem Raum nicht gibt. Eine rothaarige Frau mit Mantel taucht auf, sie trippelt ziellos auf Stöckelschuhen durch das Café ohne wirklich etwas zu tun. Es erscheint eine weitere blinde Frau, auch weiß gekleidet. Ihr voraus rennt ein Mann und versucht hektisch und mit viel Lärm die Stühle und Tische aus dem Weg zu räumen. Ständig fällt jemand oder etwas auf den Boden, wird wieder aufgesammelt und fällt wieder runter. Das Stück handelt von Hoffnungslosigkeit, vom erfolglosen Suchen, vom Versuch, Hindernisse zu überwinden und von der Perfektion durch Wiederholung. Begleitet werden diese Szenen durch Henry Purcells wunderbare Musik.
Nicht enden wollender Applaus. 25 Minuten Pause um die Bühne für « Le Sacre du Printemps » vorzubereiten. Dazu werden großen Mülltonnen voller Erde auf die Bühne verbracht und von ca. 20 Männer über die ganze Bühne verteilt. Die Zuschauer wagen es nicht, an der Bar ein Glas Prosecco zu trinken aus Angst, etwas von dieser Show zu verpassen, die fast Teil der Inszenierung ist.
Dann geht es weiter – allerdings erst nach 35 Minuten, weil sich das Publikum nicht beruhigen will! 1975 hat sie dieses Frühlingsopfers konzipiert, es war (und ist) Pinas Paradestück und bis heute unerreicht, niemand hat Strawinskys Musik besser zu verstanden oder umgesetzt. Man möchte meinen, er hat diese Musik komponiert, damit Pina Bausch daraus ein Ballett machen kann. Es ist ein archaisch-ritueller Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Mann und Frau. Die Bühne ist leer – bis auf die Erde – die Tänzer sind alle hell-schlammig gekleidet, ein roter Umhang liegt auf der Bühne. In Ekstase wirbeln die männlichen und weiblichen Tänzer über die Bühne, wälzen sich auf dem Boden, fliegen von einer Ecke in die andere, man hört ihr erschöpftes Atmen. Paare formieren sich, trennen sich wieder, finden einen anderen Partner, bis zu dem Moment, in dem das Oper ausgesucht wird, ein endlos scheinender Kampf, keine will den roten Fetzen anziehen. Sie schieben sich gegenseitig in die Mitte der Bühne. Mittlerweile sind alle Tänzer mit Erde beschmutzt und braun-dreckig (die Anmut geht aber nicht verloren), sie haben fast die Grenze des Machbaren erreicht. Ditta Miranda ist das Opfer und man fragt sich, woher die kleine Person die Kraft nimmt, immer weiter zu machen, wieder aufzustehen, bis sie schließlich endgültig am Boden liegen bleibt. Ein paar Sekunden noch Stille, so gepackt ist das Publikum und dann bricht ein Tsunami an Beifall los.
Die Tänzer von Pina Bausch sind alle ein wenig besser, perfekter und stärker als die anderen. Jede/r ist auch Solist und so tanzen sie auch. Jede Bewegung stimmt immer 100% und trotz unterschiedlicher Körpergröße, vermitteln sie eine Harmonie, die durch nichts gestört wird.
Die Nijinsky Inszenierung im Théâtre des Champs-Elysées in Paris 1913 wurde seinerzeit ausgepfiffen und er und Strawinsky zur persona non grata der Theaterwelt erklärt, dabei war diese im Vergleich zu Pina Bauschs Werk richtig brav und Nijinsky ging viel weniger auf diese aufrüttelnde und ausgesprochen beunruhigende Musik, die schon den 1. Weltkrieg ankündigte, ein oder besser, die Zeit war noch nicht reif für Strawinskys Musik.
Bis 2015 will das Ensemble erstmals keine Neuinszenierungen angehen. Die Latte hängt sehr hoch und die Fußstapfen müssen ausgefüllt werden. Es wird sich zeigen, wie es weiter geht, aber solange die von Pina ausgesuchten Tänzer auftreten, brauchen wir keine Angst zu haben.
Christa Blenk