« Curlew River » in der Basilica di Santa Maria in Ara Coeli
Benjamin Britten (1913 – 1976) unternahm 1955/1956 zusammen mit seinem Partner Peter Pears eine Fernostreise. In Japan wurde er erstmals mit Kabuki und vor allem mit dem Nô Theater konfrontiert. Tief beeindruckt davon schreibt er 8 Jahre später seine Kirchenparabel « Parable for Church Performance ». »Das Erlebnis beeindruckte mich zutiefst, die einfache, ergreifende Handlung, der sparsame Stil, die starke Verlangsamung der Aktionen, das große technische Können und die Körperbeherrschung der Darsteller, die wunderbaren Kostüme, die Mischung aus Sprechgesang, Rezitation und Singen, die zusammen mit den drei Instrumenten die Musik ausmachte, all das bot eine völlig neue » Opern-Erfahrung », schreibt er in einem seiner vielen Briefe. Das Libretto hat William Plomer nach einem mittelalterlichen japanischen nô-Drama geschrieben.
Britten hat erfolgreich versucht, den Osten mit dem Westen zu verlinken. Ganz natürlich nehmen wir den ständigen musikalischen Wechsel an und gehen mit. Die aus 12 Bildern bestehende Oper beginnt und endet mit gregorianischen Gesängen. In ihr kommen – ähnlich wie bei Bernsteins MASS – fast alle Musikrichtungen vor: Japanisches Nô Theater, Gregorianische Gesänge, Südsee–Trommel-Klänge, britisch-keltische Volksmusik, Tudor-Musik, Einflüsse von Purcell und christliche Liturgie geben sich am englischen Styx ein Stelldichein. Verkleidete Mönche führen das Musiktheater in einer Kirche auf. In der Mitte des Kirchenschiffes ist die Fähre, angedeutet nur durch das lange Ruder des Fährmanns. Während der Aufführung entfernt sie sich vom Ufer.
Ein Abt ruft seine Mönche zusammen und kündigt in der Kirche ein mystheriöses Theaterspiel an, in dem es drei Hauptrollen geben wird: eine wahnsinnig Frau (madwoman), den Fährmann und den Reisenden. Man befindet sich am Möwen-Fluss. Der Fährmann muss Pilger auf die andere Seite bringen, die dort einen heiligen Ort aufsuchen wollen. Madwoman mit Rasta-Haaren und einem Einkaufswagen stürzt aufgeregt und singend in die Kirche. Der Fährman erzählt von einem Fremden, der vor ca einem Jahr in Begleitung eines kranken Jungen mit ihm übersetzte, er wurde am Heiligtum begraben. Madwoman erkennt, dass es sich um ihren entführten Sohn handeln muss und will sich der Pilgergruppe anschliessen, so auch ein weiterer nicht identifizierter Reisender (ob er der Reisende vom Vorjahr ist bleibt uns überlassen). Angekommen am Grabe des Sohnes erscheint dessen Geist und vertröstet seine Mutter auf ein Wiedersehen am Jüngsten Tag. Alle Reisenden schließen sich der Trauer an. Das Kind segnet die wahnsinnige Mutter, die dadurch geheilt wird und verschwindet wieder im Grab. Damit ist die Geschichte auch schon zu Ende. Die Pilger fahren zurück und nehmen – auf der anderen Seite in der Kirche angekommen – wieder ihr Mönchtum auf.
Britten hat zwei musikalische Parabeln geschrieben: Curlew River und The Prodigal Son. Einmal wird der Verlust aus der Sicht einer Mutter und das andere Mal aus der eines Vaters, der seinen Sohn scheinbar verloren hat und wieder findet, aufgezeigt. Die Trauer über einen verstorbenen Sohn zum einen und die Freude über einen wiedergefundenen zum anderen beschreibt er mit sparsam-minimalen aber rituell theatralischen Klangfarben. Es ist eine Meditation über Verlust, Hoffnung, Trauer, Glaube und Liebe, die unter die Haut geht.
James Conlon am Pult auf der rechten Seite. Links Roberto Gabbiani und der Mini-Chor. Benjamin Hulett war eine umwerfende und angsteinflössend-verzweifelte « madwoman », sehr intensiv und dunkel der Fährmann Anthony Michales-Moore, Philipp Addisen war der mysteröse Reisende im Trenchcoat.
Die Aufführung wurde in Zusamenarbeit mit der Oper Rom organisiert, von ihr kamen auch Chor- und Orchestermitglieder. Eine Glanzleistung, gestört allerdings durch das sehr laute und sich ständig in Bewegung befindliche Publikum – immer auf der Suche nach einem besseren Platz. Aber schließlich waren wir in einer Kirche und nicht im Opernhaus.
Christa Blenk
Illustrationen: Emanuel Borja « Primordial » Skulpturen