Requiem von Hans-Werner Henze im Auditorium
Auditorium – Parco della Musica – Rom – 10. März 2013
Ich fange mit dem Zitat an, das am Anfang seiner Autobiographischen Mitteilungen « Reiselieder mit Böhmische Quinten » steht. Es passt sehr gut! Meinst du, der alte Geiger, Tu credi, vecchio violino Dem die Gestirne tanzen che fai danzare le stelle, Zur starken Weltenfiedel, che la nostra vita terrena, Wenn’s einmal abgespielt ist, una volta che sia finita Noch einmal ‚runterspielen, diverrà nuovamente musica, Nur höher, in der Quinte? Ma più alta, sulla quinta? (Nikolaus Lenau, Der Steirertanz) (Nikolaus Lenau, Der Steirertanz)Appia Antica auf die Albaner Berge
Gerade als Hans-Werner Henze Anfang 1990 einen alten Vorabzug des Concerto per il Marigny hervorholte und mit dessen Neubearbeitung anfangen wollte, bekam er einen Anruf aus London vom Royal Opera House, Covent Garden. Man plane ein Michael Vyner Memorial-Konzert. Dazu wurden u.a. Berio, Birtwistle, Górecke, Takemitus und er selber um musikalische Beiträge für diesen Anlass gebeten. Das Konzert sollte von der Sinfonietta London, das Ensemble des zwei Jahre vorher verstorbenen Michael Vyner, aufgeführt werden. Zu diesem Zeitpunkt beschloss Hans-Werner Henze das Concerto per il Marigny als Grundmaterial für ein seit Jahren geplantes abendfüllendes zyklisches Werk zu nutzen – sein Requiem – neun geistliche Sätze für Klavier und Trompete solo und großem Kammerorchester für die dramaturgische Rolle. Ein Werk für 33 Instrumente ohne Stimmen. Das üblicherweise „Gesungene“ wird direkt auf die Instrumente übertragen. Musik über eine Freundschaft, über das Leben und das Leiden, die Hoffnung und die Liebe. Henze selber nennt es ein „bilder- und methaphernreiches Werk absoluter Musik“. Der erste Satz „Introitus Requiem“ – Henze hatte als Pianist Paul Crossley vorgesehnen – wurde bereits am 6. Mai 1990 in Covent Garden uraufgeführt.
Im Mai 1990 wird Luigi Nono in Venedig begraben – Henze war dabei – sprachlos und tief betroffen. Nach diesem zweiten Verlust eines Freundes ging er anschließend – über München – nach Marino zurück und schrieb ein Triptychon für Klavierquintett. Dieses sollte dann später auch Teil seines Requiem werden. Ein Requiem ohne Gesang.
Jetzt zum Werk:
Der erste Satz Introitus für Klavier und kleines Streicherensemble ist ein Andenken an gemeinsam Erlebtes, es ist nostalgisch und bedächtig. Dies irae – der Tag des Zornes – es geht mit Trommeln los – fast jazzig – ein schlimmer oder der schlimmste Tag im Leben, etwas Wichtiges ging verloren. Ein Kreisen zwischen Ärger und Ohnmacht. Das Ave Verum spricht von Henzes Verehrung für Hölderlin. Streicher und Klavier, sehnsüchtig, romantisch. Mit Oboe, Flöte und Glockenspiel geht es mit Lux eterna weiter – eine ganz klare Tristan-Referenz. Henze denkt an sein geliebtes Marino mit dem hellen Sonnenlicht und an die Musik der Schafhirten auf der Appia Antica. Rex tremendae fängt mit einem Trompetensolo an, dazu kommen dann die Celli und Perkussion. Es ist ein Tsumani – aggressiv und fanatisch. Ein kleines Streicherensemble leitet das Agnus Dei ein. Henze hat dabei auf den Pastoralrythmus der Missa solemnis zurückgegriffen. Sein Tuba mirum hat er als letzten Teil im Sommer 1992 beendet. Es ist eine Mischung aus Marschliedern, Hymnen und Gassenhauer, Blitzlichte und Fanfaren. Blasmusik der schlimmsten Art. Es soll uns „durch Mark und Bein“ (seine Worte) gehen. Blech – Posaune – Gewitter. Ein weinendes und schmerzerfülltes Lacrimosa – Streicher und Piano – bringen uns wieder runter. Es dauert aber ein wenig, bis wir die Angst und die Panik verlieren. Sein Sanctus – zu dem sich die Trompeter im Saal verteilen – will „Tiepolos Himmel“ aufreißen, um etwas von dem ewigen Licht über die betrübte Welt hinwegfallen zu lassen. In seinen „Reiseliedern mit böhmischen Quinten“ sagt er: „Mein Requiem ist weltlich, multikulturell und brüderlich, es ist in memorium an Michael Vyner geschrieben. Dieser Name steht gewissermaßen stellvertretend für alle die vielen anderen Frühverstorbenen auf der Welt, deren Leiden und Hingehen meine Musik beklagt.“
Die Uraufführung in dieser – kompletten- Fassung fand aber erst im Februar 1993 in einem vom Westdeutschen Rundfunk ausgerichteten Konzert in der Kölner Philharmonie mit dem Ensemble Modern unter Leitung des damals aufstrebenden neuen Stern am zeitgenössischen Musikhimmel, Ingo Metzmacher. Hakan Hardenberg, Trompete und der Pianist war Ueli Weigt . Am 5.9. gab es dann eine weitere Aufführung von Oliver Knussen in der britischen Premiere in den Proms mit Paul Crossley am Flügel.
Intensiv und konzentriert vorgetragen vom Ensemble dell’Accademie Nazionale di Santa Cecilia e del PMCE Parco della Musica Contemporanea Ensemble unter Leitung von Tonino Battista. Am Klavier Giovanni Bellucci und der Trompeter war Nello Salza. Der ¾ gefüllte Saal mit relativ jungem Publikum hat das Requiem in Stille und Andacht mitgelebt und die Interpreten nach den 75 Minuten ohne Pause voller Begeisterung dreimal auf die Bühne geholt. Es war ein bewegendes Hommage-Konzert für Hans-Werner Henze (obwohl das Requiem schon im September 2012 – vor Henzes Tod – auf dem Programm stand).
Foto: Ingrid Voth-Amslinger (ein happening von Hannsjörg Voth)
Der 1926 in Gütersloh geborene Hans-Werner Henze, verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Italien und konkret in Marino (das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Rom). Er war einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Festlegen auf einen bestimmten Stil oder eine bestimmte Technik wollte er sich nicht. Henze war ein sehr politischer und sozialer Komponist (We come to the river). Die Texte für seine Opern holte er sich u.a. von Ingeborg Bachmann (Der junge Lord), mit der er in Neapel auch einige Zeit zusammen gelebt hat, Wystan Hugh Auden (Die Bassariden), Christian Lehnert (Phaedra) und Hans-Ulrich Treichel (das verratene Meer). Im Prinz von Homburg (auch ein Libretto der Bachmann) hat er auf Heinrich von Kleist zurückgegriffen. Hans-Werner Henze hat 10 Symphonien komponiert, eine große Zahl von konzertanten, Ensemble- und Orchesterwerken, Kammermusik und Vokalwerke, für Duo, Solo, Chor – die Liste hört gar nicht mehr auf. Über 20 Opern hat er auch geschrieben, oft überarbeitet oder neu bearbeitet – wie es seine Art war – (wie z.B. das verratene Meer und auch das Requiem).
Der große Maestro Hans-Werner Henze ist am 27. Oktober 2012 in Dresden verstorben. Dort hielt er sich gerade auf, um bei der Aufführung von „Wir erreichen den Fluss“ dabei zu sein. Sein letztes Werk „Ouvertüre zu einem Theater“ wurde am 20.10.2012 in Berlin uraufgeführt! Pappano hat diese kleine Komposition dem Publikum im Auditorium vor kurzem vor der Aufführung der „Petite Messe“ geschenkt.
Christa Blenk
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Irmi Feldman a écrit:
Bravo! Was fuer eine gelungene Wiedergabe eines Konzertes mit ausfuehrlichen Details ueber Leben und Arbeit des grossen Hans-Werner Henze! Gerade die Beschreibung der Ausschnitte aus dem Requiem haben mich tief beeindruckt. Ich konnte mir die Stimmung der Zuhoerer und die Musik bildlich vorstellen. Mit ihrer Abhandlung zeigt Christa Blenk zeigt nicht nur tiefes Verstaendnis fuer die Musik sondern auch fuer die Beweggruende und Lebenssituationen dieses grosse Komponisten unserer Zeit.
Hut ab!
Irmi Feldman
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