Die Nazarener – Italia und Germania
« I nazareni » wurden sie von der römischen Gesellschaft genannt. Zurückzuführen ist dieses auf die Haartracht, die die Künstlergruppe, die sich 1810 auf nach Italien machte, pflegte: langes gewelltes Haar, Mittelscheitel (wie Jesus von Nazareth). Angefangen hat diese Kunstrichtung in Wien 1804 , dort hielten sich der Lübecker Sohn aus reicher Familie Friedrich Overbeck sowie Franz Pforr aus Frankfurt auf. Sie machten ihre Ausbildung an der damals ausgezeichneten Kunstakademie in Wien. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Es ging mehr um technische Aspekte und Perfektion als um Ideen oder Kreativität. Der Lehrplan war sehr streng und der Hauptaufenthaltsort der Studenten der Antikensaal mit Abgüssen antiker Statuen. Altes wieder aufleben lassen. Das « Aufgewärmte » war perfekt gemalt, der Faltenwurf stimmte, die Perspektive auch – das Ergebnis allerdings war kalt, seelenlos, ohne Herz.
Overbeck und Pforr, die entgegen der Weisungen der Klassik, Dürer und Holbein verehrten, gründeten 1809 den sog. Lukasbund (der Evangelist Lukas gilt als Schutzpatron der Maler) zusammen mit Joseph Sutter, Josef Wintergerst, Johann Konrad Hottinger und Ludwig Vogel. Beeinflusst von den Romantikern wie Tieck, Novalis und Schlegel sowie der Religion schafften sie ihren eigenen Malstil. Erlaubt waren nur biblische Themen! Höchtens Dante oder Shakespear kamen in Frage. Als « Untreue » wurden sie aus der Wiener Akademie ausgeschlossen und beeinflusst von Tiecks Roman « Franz Sternbalds Wanderungen » machten sie sich auf den Weg nach Italien und dort erwartete sie Giotto, Raffael und die gesamte italienische Renaissance. (Joseph Anton Koch hielt sich seit 1795 in Olevano Romano und lernte dort u.a. die « Divina Comedia » kennen, die ihn dann auch zu einer neuen Interpretation von seinen Landschaften animierte. Sein nicht unkritischer Kontakt zu den Nazarenern sollte dann aber doch zu einem der großen Gemeinschaftsproduktionen der Nazarener führen: die Fresken im Dante Zimmer des Casino Massimo. )
Sie ließen sich erstmals im Franziskanerkloster Sant’Isidro auf dem Pincio nieder – abgeschieden von allem. Ihre Maxime war « Unter sich im Stillen der alten heiligen Kunst nachzuarbeiten ». Die Nazarener suchten nicht, wie alle anderen Rom-Pilger, die Antike, sondern das christliche Rom! Winkelmann, Canova, Mengs etc. waren « out » für sie.
Leicht größenwahnsinnig geworden, verstanden sie sich bald als wahre Nachfolger des spirituellen und künsterlischen Roms (Rom befand sich kulturell gesehen aufgrund der politischen Situation in einer Sackgasse und war fast nur noch vom Vatican dominiert). Die Vereinigung von klassischer Schönheit, deutscher Innigkeit und wahrem Christentum würde bald – ihrer Meinung nach – zu einer neuen Renaissance führen. Was flüstert die blond-bezopfte « Germania » vor der mittelalterlichen Stadt im Hintergrund in Overbecks « Italia und Germania » (1828) der sanft-lieblichen dunkelhaarigen « Italia » vor einer römischen Basilika ins Ohr.?
Alle konvertierten sie zum Katholizismus. Die Gruppe der Lukasbrüder wuchs im Laufe der Jahre, allerdings fühlten sich nicht alle zu einem Leben in Sant Isidro befähigt. Franz Pforr starb 1812 an Tuberkulose und Ludwig Vogel musste nach Zürich zurück, Hottinger fühlte sich den moralischen Anforderungen nicht gewachsen und verschwand ebenfalls. Dafür kam Peter von Cornelius dazu und « modernisierte » die Gruppe ein wenig, in dem er u.a. die Themenkreise erweiterte.
Aus der römischen Zeit sind die Freskenzyklen in der Casa Bartholdy (die heutige Bibliotheca Hertziana) und der Casa Massimo die Hauptwerke. Das technische know-how (für die Fresken) brachte ein römischer Handwerker, der bei Mengs in die Lehre ging, ein!
Der Zeitgenosse Caspar David Friedrich (1774-1840) sagt: « Jedes echte Kunstwerk wird in geweihter Stunde empfangen, oft dem Künstler unbewusst aus innerem Drange des Herzens ». Damit dürfte er die Philosophie dieser Künstlergruppe gut definiert haben.
Christa Blenk