Dmitri Schostakowitsch – Die Nase – HOC
Die « Nase » in einer Inszenierung von Peter Stein am Teatro dell’Opera di Roma. Witzig, verrückt, genial und farbenfroh konstruktivistisch.
Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975) hat 6 Opern geschrieben. Eine davon ist « Die Nase » (1926) nach einer surrealistischen Novelle von « Gogol », der diese 90 Jahre (1836) vorher geschrieben hatte. « NOS » (Nase) heisst umgekehrt « SON » (Traum). Es ist eine Satire aus der Beamtenwelt über die Absurditäten und die Inkompetenz des Verwaltungsapparates in der Zeit von Zar Nikolaus II. Fast 100 Jahre später beunruhigte das Stück aber immer noch die Behörden. Erst 1974 tauchte « die Nase » dann wieder auf und wurde in Moskau aufgeführt. In Rom stand die Oper zum letzten Mal 1967 auf dem Programm.
In den post-revolutionären Jahren wurden in Leningrad Komponisten wie Strauss, Berg, Hindemith, Milhaud oder Krenek aufgeführt. Schostakowitsch kannte also die sog. expressionistische Musik und setzte sich mit ihr und allen anderen Bewegungen des beginnenden 20. Jahrhunderts, Surrelismus, Dadaismus, Symbolismus, Futurismus, Modernismus und atonaler Musik auseinander. In der « Nase » kämpfen Melodie und Konvention gegen Disharmonie und Erneuerung. Schon als junger Mann hatte er großen Erfolg in Rußland, dann ist er, der Hymnenschreiber, der geschickt Spott und Kritik in seinen Auftragswerken versteckte, für das Regime Stalin mit « Lady Macbeth von Mzensk » in Ungnade gefallen. Stalin bezeichnete seine Musik als Chaos. Prokofiew, Strawiskny und Mahler waren seine Vorbilder. Seinen ersten großen Erfolg hatte er, knapp 20-jährig, mit seiner 1. Symphonie in F-Moll.
Ende der 20er Jahre begann er mit seiner « Nase ». Dieses chaotische, turbulente und gewitzt-freche und dadaistische Jungwerk, uraufgeführt 1930 in Leningrad, wurde allerdings nach nur 15 Aufführungen abgesetzt. So richtig geschafft hat es die Nase nie, ist aber in den letzten Jahren fester Bestandteil im Repertoire aller großen Opernhäuser geworden. Ligety allerdings war sofort voller Bewunderung für das Werk und Gottfried Blumenstein bezeichnet die Oper als „apokalyptischen Soundtrack zum 20. Jahrhundert“. Die Aufführung in Rom ist eine Produktion des Opernhauses Zürich und wurde dort 2011 mit großem Erfolg (Peter Stein und Ingo Metzmacher waren das sog. « Dream Team ») aufgeführt. Peter Stein hat sich bei seiner recht konventionellen aber genialen Inszenierung an die russischen Konstruktivisten, an die deutschen Expressionisten sowie an die Ästhetik der 20er Jahre (« Modern Times ») gehalten. Manche Szenen waren wie ein Gemälde von El Lissitzky oder Moholy Nagy! Besuch einer Ausstellung. Die Kostüme kamen zum einen aus der Gogol-Zeit (Biedermeier) und waren dann wieder angelehnt an die 30er Jahre. Eine sehr gelungene Inszenierung in 16 Bildern, der die Musik – am Pult Alejo Perez – wunderbar folgen konnte. Alle waren wir natürlich auf das erste Perkussionssolo gespannt und wurden dann auch nicht enttäuscht. Es gibt eigentlich nur eine wirkliche Hauptrolle (der Mayor war der Brasilianer Paulo Szot – er hat die Rolle auch schon an der MET gesungen), ansonsten war da noch sein Lakai (Ivan war Alexander Teliga) und ein großes Aufgebot an Sängern und Tänzern, aber eher alles kleine Rollen. Sie haben sich alle sehr gut durch das Stück gehandelt. Die Kutschenszene war ein wenig zu lang und zu langweilig.
Zur Handlung: Eines morgens beim Aufwachen ist die Nase des Petersburger Mayors Platon Kowaljow verschwunden. Zeitgleich (das Publikum sieht zwei Bilder – dieses sollte sich dann noch ein paarmal im Laufe des Abends wiederholen) taucht sie im Brot seines Frisörs auf, der sie ganz schnell – auf Anraten seiner Frau, die nicht beschuldigt werden will – unter großen Mühen und mit viel Nervenaufreibung schließlich in die Newa wirft. Eine sehr gelungene Szene in der der Barbier kilometerweit laufen muss, bis sich eine Gelegenheit bietet, das Corpus Delicti wegzuwerfen. Ständig kommen Leute, auch Bekannte, vorbei. Dann geht die Suche und das Chaos los. Der Mayer ist untröstlich, eine Hand, einen Fuß, einen Zeh hätte man verlieren können, aber ohne Nase ist man Niemand! Er ist seiner Personalität beraubt worden. Der gesamte inkompetente Polizeiapparat sowie die Presse (aber ohne großes Engagement – man will ja seinen Ruf nicht verlieren, wenn man so eine absurde Geschichte veröffentlicht) sind auf der Suche, es kommt zu vielen Mißverständnissen und witzigen Situationen, Prügeleien und Hochzeitsversprechen, bis dann die Nase, die sich zwischendurch als hoher Staatsbeamter selbständig gemacht hat, wieder ihre normale Form annimmt und der Assessor aufwacht. Vorher hat er aber noch große Probleme, die Nase wieder an seinen richtigen Platz zu bringen. Selbst der herbeigerufene Arzt kann es nicht und rät ihm, sie in Vodka zu konservieren.
Gogol hat mit seiner Erzählung das Absurde mit dem Täglichen verbunden, seinem Weltverständnis und dem seiner Zeit zufolge. Magie und Hexen in Verbindung mit dem Teufel bewegen uns. Mit dem Verlust seiner Nase verliert K. seine Persönlichkeit. Ist es Traum oder Wirklichkeit. So plötzlich wie sie verschwunden war, taucht sie wieder auf und alles ist gut. Die Art und Weise wie er der Mutter und der verschmähten Tochter eine „lange Nase“ macht zeigt, dass er nichts aus der Lektion gelernt hat.
Am Pult glänzte der junge argentinische Dirigent Alejo Pérez, dem das Orchester der Oper Rom perfekt bis zum Schluss folgte. Die Musik des 19./20. Jahrhunderts liegt ihm. Von 2009 bis 2012 war er musikalischer Leiter des Teatro Argentino de La Plata dem bedeutendsten Opernhaus Argentiniens nach dem Teatro Colón. Dort hat er mit großem Erfolg u.a. auch Schostakowitsch‘ Lady Macbeth von Mzensk, Bizets Carmen sowie Wagners Tristan und Isolde und Das Rheingold dirigiert. Wagners Rienzi war 2012 in Madrid dran, dorthin hat ihn Gerard Mortier geholt. Mit Peter Eötvös’ „Lady Sarashina“ feierte er 2009 an der Opera Comique in Paris einen großen Erfolg.
Gogel oder Schostakowitsch kritisieren so ungefähr alles was man am Staat und an den Menschen kritisieren kann. Unfähigkeit, Gleichgültigkeit, Inkompetenz, Faulheit, Bestechlichkeit, Sensationslust, Gier, Trägheit. Alle lassen sich wiederfinden.
Er war ein harter Arbeiter und hat noch 4 Tage vor seinem Tod Korrekturen an seinen Werken vorgenommen. Am 9. August 1975 ist Schostakowitsch an einem Herzinfarkt gestorben. Sein Grab schmückte u.a. auch ein Kranz des KGB.
Christa Blenk
Teatro dell’Opera di Roma – 31.1.2013
Nachklapp: An der Garderobe und am Programmstand wurden dann Hustenbonbons verteilt (schließlich ist Hustenzeit- die Idee an sich ist ja nicht schlecht!), diese waren aber leider sehr gut – jeweils zwei - in kleinen Tüten verpackt. D.h. es gab dann Husten und Papierrascheln, weil die Huster die kleinen Tütchen nur mit Mühe (oder gar nicht) aufkriegten und dieser Zustand Nervosität beim Huster verursachte und diese wiederum weiteres Husten!