Call me God (Treibsand) – Teatro Argentina Roma
Der Attentäter hinterließ eine Tarotkarte (sie so oft in der Kriminalgeschichte und bei « Scoop ») beim Opfer – auf dieser stand „Call me God und keine Medien! »
So heisst auch das Stück das am 5.11.2012 hier in Rom uraufgeführt wurde.
Teatro Argentina: Vier Schauspieler vom Münchner Residenztheater begeistern das römische Publikum. Die Aufführung fand in deutscher Sprache mit italienischen Untertiteln statt.
artista: César Borja
Es geht los mit der Eröffnung des neuen Museum Brandhorst in München in 2009 (das Jahr in dem der « Delinquent ») hingerichtet wurde. Der Radiosprecher kommentiert den „Lepanto-Zyklus“ von Cy Twombly, 12 Bilder die 2001 auf der Biennale von Venedig ausgestellt waren und – wie ich gelesen habe – eigens für dieses Museum geschaffen wurden und eine seiner Hauptattraktionen sind. (Cy Twombly hat sich – anders als die US Maler seiner Zeit – übrigens sehr viel mit Europa und dem Mittelmeer befasst. Schon in den 60er Jahren hat er Griechenland bereist, zuletzt hat er bis zu seinem Tod in 2011 in Italien gelebt. Er, d.h. seine Bilder, stellen den Kontakt Europa-USA in diesem Stück her). Lepanto, an der westgriechischen Küste gelegen, war 1571 Treffpunkt einer der grausamsten Seeschlachten überhaupt. Die Spanische Flotte, geführt von Juan de Austria und mit Unterstützung von venezianischen und päpstlichen Truppen, besiegten hier die Osmanen. Über 450 Schiffe lagen sich gegenüber und fast 38000 Menschen verloren ihr Leben. (Cervantes war auch in Lepanto dabei und verlor seine linke Hand). Philipp II taucht dann später im Stück nochmals auf. Im Verlauf der knapp zweistündigen Aufführung begreifen wir, dass der Regisseur seine Geschichte auch in 12 Bildern ablaufen lässt (vielleicht waren es auch mehr, das macht aber nichts). Es war jedenfalls ein Kampf gegen den Halbmond, der damals entschied, wer letztendlich das Sagen im Mittelmeer haben sollte.
Aber zurück zum Stück. Im Moment wissen wir nicht, was Lepanto mit den Snipern von Washington in 2002 zu tun haben könnte. Die USA rüsten sich gegen den Irak, im Hintergrund hören wir das Adagio von Samuel Barber und dann später Bombenlärm,Hubschrauber und Kanonenschüsse. Vergleiche werden gezogen und Erfindungen kommentiert – vor allem amerikanische!
Licht aus – Spot on! Wir sind nun vor der Tonkabine und Frau Doktor X sitzt im Zahnarztwartezimmerstuhl und preist ihr Buch an – im Laufe des Abends werden in diesem Stück ständig Bücher angeboten, die man alle am Ausgang für 24 Dollar erwerben könne. Jeder schreibt praktisch ein Buch über seine Erlebnisse mit dem Sniper, ob Arzt, Tante, Opfer, Verwandter vom Opfer, Betreuer etc. Die Komik der Wiederholung. Hinter der Ärztin sehen wir eine Bahre auf der der Patient/Delinquent „Habe ich Patient gesagt, ich meinte natürlich der Delinquent“ liegt, erklären die beiden Henker die computergesteuerte Exekution mit drei verschiedenen Giften. Sie weisen darauf hin, dass es unmöglich ist nach der Hinrichtung zu wissen, wer den ausschlaggebenden Knopfdruck getan hat. „Das hilft sehr und man hat keinen Schuldkomplex“. Sollte man aber doch einen davon tragen, kann man immer noch das Buch der Ärztin kaufen, die nur anwesend ist, um den Tod festzustellen, denn als Ärztin müsse sie ja eigentlich Leben retten. „Er hat es getan, nein, Sie hat es getan“. Bevor der Countdown abläuft hören wir noch eine flammende Eloge über dieses fantastische Land, in dem die Bürger „den Kofferraum voller Schokoriegel haben“ und jedes Jahr einen neuen Rasenmäher kaufen. Das leidenschaftliche Plädoyer endet mit: „Wir haben keine Angst, wir haben Recht!“ Bei „Zero“ verwandelt sich die Szene in einen Ort bei oder in Washington und nun erfahren wir, wie die Opfer heißen, wie alt sie sind, was sie gerade getan haben als der tödliche Schuss kam. Das Dramatische an der Sache ist, dass das Publikum bei jedem Schuss zu lachen anfängt, denn der Regisseur will auf keinen Fall Dramatik aufkommen lassen. Es klatscht immer ein Liter Tomatensaft gegen die Glasscheibe und jemand sagt „wir haben ein Problem“.
Es ist fast Slapstick und uns stellt sich die Frage, ob wir darüber lachen dürfen (wie ein Film der Brüder Coen). Die Schauspieler waren unvergleichlich gut. Sie schlüpften von einer Rolle in die andere durch Perücke aufsetzen, Haare öffnen, Rock hochziehen, aufstehen, Kittel überziehen, Jacke an oder aus, Brille aufsetzen oder abnehmen, Schulranzen fallen lassen, Stimme verändern oder in die Knie gehen. Es war eine Glanzleistung. Insgesamt haben die vier sicher an die 30 verschiedene Personen gespielt. Nachdem dann alle Opfer „erledigt“ waren, ging es weiter mit der Tätersuche. „Wir brauchen einen Erfolg“, „Er ist ein anständiger Mensch, obwohl er tätowiert ist“, „Wer zu Fuß geht ist ein schlechter Mensch“ etc. Polizei, übergewichtig und Sandwich-essend beim Verhör „ja eigentlich sehen Sie ja gar nicht aus wie der, den wir suchen“! FBI, CIA (sie profitieren vom Sniper), Guantanamo, Mondlandung, Kartoffelchips, Whisky Soda, Grenada und Mexiko und die uns schon bekannte »Rote Insel » kommen ins Spiel. Jetzt sackt das Stück ein wenig ab und wird sehr chaotisch. Immer wieder viel Bombenlärm und Pistolenschüsse. Musik zwischendurch – auch etwas auf Italienisch „You wanna be Americano“ singen sie, wie in den 60er Jahren Sophia Loren. Ironisch und witzig! Bei der Verhaftung der beiden waren mindestens 1000 Polizeiautos vor Ort. Wollte uns der Regisseur mit der Verteidigungsrede des Täters von dessen Unschuld überzeugen? Wozu wollten die Täter das Erpressergeld? Um in Kanada eine Sniper-Schule zu eröffnen? Suchte er Vergebung, weil er eigentlich nur seine Frau, die ihm die Kinder weggenommen hat, töten wollte? Die Antwort blieb offen. Nachdem dann so ungefähr alle Gemeinplätze behandelt wurden, fand die computergesteuerte saubere und unpersönliche Hinrichtung statt, wie schon am Anfang angekündigt.
Rasender Applaus!
Katrin Röver, Genija Rykova, Thomas Gräßle und Lukas Turtur gebührt ein großes Kompliment, die bilderhafte Inszenierung von Marius von Mayenburg war sehr gelungen. Er machte mit ganz wenig viel. Das ganze war eine Gemeinschaftsproduktion des Residenztheaters und des Teatro di Roma, geschaffen von den beiden Münchner Marius von Mayenburg und Albert Ostermaier, des Argentiniers Rafael Spregelburd und des Napolitaner Gian Maria Cervo.
Organisiert und koordiniert hat das Goethe Institut in Rom.
Ich bin schon gespannt, was die Münchner zu diesem erfrischend konventionellen aber fast « leichten » Stück sagen werden.
Christa Blenk