Antigone in San Giovanni (Roma)
Antigone oder das Recht auf Widerstand gegen die Staatsgewalt!
Familiendrama und hohe Politik – sehr frei nach Sophokles im Teatro Duse.
Ein kleines Theater in San Giovanni. Die Karten konnte man nicht so einfach kaufen, man musste vorher erst einmal Mitglied in der Assoziation werden und ein Formular ausfüllen. Vielleicht waren deswegen so wenig Leute im Saal!
Botta Giovan Bartolo, der das Stück inszeniert und auch die Rolle des Kreon übernommen hat, ist mit dem Text sehr frei umgegangen. Er hat sich gleich am Anfang über das Publikum, das wegen einer klassischen Aufführung gekommen ist, lustig gemacht. Seine Antigone spielt im heutigen Italien, im Zeitalter der Wirtschaftskrise, Kabinettssitzungen, Handys und von Facebook. Kreon ist der Staatschef. Er ist schwach, unentschieden, feige, voller Komplexe, und will eigentlich nur seine Ruhe haben. Außerdem ist er in Antigone verliebt, was ihm Eurydice (Isabella Carle), seine Frau, auch vorhält. Ihr wäre es sowieso lieber, wenn ihr Sohn Haimon Ismene (auch Isabella Carle) heiraten würde. Sie ist „leichter zu manipulieren“ und nicht so „unberechenbar und stolz“. Krzysztof Bulzacki Bogucki ist Teiresias, Haimon und der Wächter (den spielt er am besten), der Antigone erwischt. Er interessiert sich nicht für die oberflächliche, egoistische Ismene, die nur Ausgehen, Telefonate mit ihren Freunden und Facebook im Kopf hat, sondern will nur Antigone (Luigia Pigliacelli). Die Rolle des Chors wird vom Publikum (das aber nicht sehr aktiv ist, auch schon deswegen, weil nur 12 Plätze von den 50 besetzt waren) übernommen und zum Teil von Isabella Carle. Antigone, Tochter des unglücklichen Königs von Theben, Ödiopus, verachtet Kreon und das weiß er auch. Er ist ihr verbal nicht gewachsen. Sie sieht auf ihn herab, vergleich ihn ständig mit ihrem Vater und genießt sein Leid, weil er sie in den Tod schicken muss. Kreon schaut fast flehentlich ins Publikum und erwartet Zuspruch, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, schließlich hat Eteokles nur sein Reich vor dem Rebellen Polyneikes verteidigt, sagt er, es sei doch wohl normal und richtig, dass er vier Wochen als abschreckendes Beispiel auf der Strasse verfaulen soll. Bei Haimon vermissen wir seine großen demokratischen Reden an die Vernunft, er ist auch schwach, und bringt nicht einen guten Satz zusammen. Seine Mutter hat ihn wohl als Kind missbraucht und das macht ihm zu schaffen; jedenfalls deutet Giovan Bartolo Botta das in seiner Version an. Ismene ist verwöhnt und eitel, will aber zum Schluß unbedingt an der Ehre, den Bruder Polyneikes bestattet haben, teilhaben. Dieses lässt Antigone aber nicht zu. Teiresias hat keinen Auftritt zum Schluß (oder wir haben es nicht mitbekommen) – er kündigt nur ganz am Anfang den Untergang an. Es wird oft sehr laut in dem Stück und die vier Darsteller schreien sich fast ständig und sehr intensiv an. Plötzlich sprang Isabella Carle (Ausrufer) auf und verkündige bzw. ratterte – begleitet von einem brasilianischen Klangholz (Claves) das Kreon bedient hat – das Verdikt herunter (beeindruckend – wenn auch schwierig zu verstehen) und plötzlich war es dann zu Ende, darauf musste uns Kreon aufmerksam machen. Adesso e finito! Ein klassisches griechisches Drama war es nicht. Interessant und mitreißend war es aber trotzdem und die kleine Truppe hat es gut geschafft, die Zeitlosigkeit dieses Theaterstücks wieder einmal hervorzuheben.
Das letzte Mal haben wir Antigone im Frühjahr 2012 in Paris gesehen. Eine Aufführung des Palästinensischen Nationaltheaters im „Théâtre des Quartiers d’Ivry“ die sowieso nicht zu toppen ist. Es war eine klassische Aufführung in arabischer Sprache – mit französischen Untertiteln.
Christa Blenk